Erstes Buch
Zwischen der Stadt Innsbruck und dem Kloster Wilten auf weitem, freiem Blachfeld hoben sich Gezelte, Fahnenstangen; Tribünen waren aufgerichtet, eine Art Rennbahn abgesteckt für Turniere und andere sportliche Spiele des Adels. Für viele tausend Menschen war Raum geschaffen, Bequemlichkeit, Vorbereitung zur Kurzweil. Schon das zweite Jahr bedeckten diese Zelte die Felder von Wilten, wartend auf die große, prächtige Hochzeit, die Heinrich, Herzog von Kärnten, Graf von Tirol, König von Böhmen, ausrichten wollte. Die Klosterbrüder sorgten dafür, daß der Wind die Zelte nicht schädige, daß die Arena für die sportlichen Spiele nicht zuwachse, daß die Tribünen nicht zusammenmorschten. Aber das Fest zögerte sich hinaus, der zweite Hochzeitsplan schien sich ebenso zerschlagen zu haben wie der erste. Die Bürger von Innsbruck, die Mönche von Wilten schmunzelten, die Berge schauten gleichmütig herunter. Die Frauen der Innsbrucker spazierten zwischen den feinen, bunten Leinwänden, die Kinder spielten Haschen über die Tribünen hin, Liebespaare benutzten die Zelte zu willkommenem Versteck.
Der alternde König Heinrich – ganz Europa ließ ihm gutmütig und ohne Spott den Königstitel, trotzdem er sein Königreich Böhmen längst verloren hatte und nur mehr die Grafschaft Tirol und das Herzogtum Kärnten besaß – ritt mißmutig zwischen den Zelten. Er hatte in der Abtei Wilten ein kleines Frühstück genommen, gebackene Forellen in Ingwer gesotten, Hühner in Mandelmilch, zum Nachtisch Gratias und Konfekt.
Aber sie verstanden sich in Wilten nicht auf wirklich erlesene Küche: die Nuancen fehlten. Der Abt war ein wackerer, beflissener, gescheiter Herr und ein guter, verwendbarer Diplomat, aber von den Nuancen der Küche verstand er nichts. Ihm jedenfalls, dem König, hatte es nicht geschmeckt, und während sonst nach dem Essen seine Laune sich zu heben pflegte, war sie jetzt noch trüber als zuvor. Er ritt das kleine Stück Weges nach Innsbruck ohne Rüstung. Die knappe, modische Kleidung beengte ihn; es war nicht zu leugnen, er wurde jetzt von Monat zu Monat fetter. Aber er war ein weltmännischer, ritterlicher Herr; er saß prächtig auf seinem edlen, geschmückten Pferd und ließ sich von den unmäßig langen, weiten Ärmeln nicht behindern.
Leichter Wind ging, flockte den Schnee auf, bauschte die Zeltwände, ließ sie flattern, klatschen. Das kleine Gefolge war zurückgeblieben, der König ritt allein, langsam, lässig. Beschaute verdrießlich die weitläufigen, festlichen Anstalten. Seine glattrasierten Backen hingen schlaff, träg und fett, der Mund baute sich vor, groß, häßlich, mit gewulsteter, mächtiger Unterlippe.
Seine hellen, wässerigen Augen gingen verärgert über die Stadt aus Leinen, über die Tribünen, die Schranken der Arena. Er war gewiß ein gutmütiger, verträglicher Herr. Aber schließlich hatte auch seine Langmut Grenzen. Nun hatte Johann, der Luxemburger, ihn zum zweitenmal zum Narren gehabt: ihm zum zweitenmal die Braut zugesagt, alles feierlich abgesprochen – ihn zum zweitenmal sitzenlassen.
Er schnaubte, sein Atem blies durch die kleine, platte Nase, stand in starken Dunstwolken in der kalten, nebligen Schneeluft. Eigentlich war er Johann, dem Luxemburger, trotz allem nicht böse; es fiel ihm überhaupt schwer, jemandem böse zu sein. Johann hatte ihn schmählich aus Böhmen hinausgejagt, so daß von seinem Königtum nur der leere Titel blieb; aber er hatte sich von dem liebenswürdigen, eleganten Mann mühelos wieder versöhnen lassen, als der ihm finanzielle Entschädigung und die Hand seiner schönen, jungen Schwester Maria bot. Auch als der Luxemburger sein Versprechen nicht halten und seine Schwester nicht zu der Heirat überreden konnte, hatte er weiter kein großes Gewese gemacht und sich bereit erklärt, mit der andern Braut vorliebzunehmen, die der Luxemburger ihm vorschlug, mit Johanns Kusine Beatrix von Brabant. Doch daß jetzt auch die ausblieb, das war zuviel.
Der Bartholomäustag, an dem sie hatte eintreffen sollen, war längst vorbei; Johanns liebe Muhme von Brabant war nicht gekommen, die schönen Zelte auf den Wiltener Feldern warteten vergebens. Der Luxemburger wird gewiß wieder eine zierlich gedrechselte Ausrede wissen. Allein diesmal wird sich König Heinrich nicht so glatt beschwichtigen lassen. Auch die Langmut eines vielgeprüften christlichen Königs hat ihr Maß und Ziel.
Er wippte ärgerlich mit der kostbar verzierten Reitgerte. Er erinnerte sich sehr deutlich, wie er zuletzt mit Johann zusammen gewesen war, im Mai, und alles abgesprochen hatte. Der Luxemburger, das mußte man zugeben, war in fabelhaft eleganter Aufmachung erschienen. Er trug, ebenso wie alle Herren seines Gefolges, die neueste Tracht, die eben in Katalonien und Burgund aufgekommen war und die man in Deutschland noch nie gesehen hatte: ungeheuer enge, knappe Kleider – man brauchte zwei Diener, um sie über die Glieder zu zerren – aus vielfarbigem Stoff, mit Schachbrettflicken besetzt, weite Ärmel, fast bis zu den Knien herabhängend. Er selber, König Heinrich, legte größtes Gewicht auf modisches Auftreten; doch der Luxemburger – es war nicht zu bestreiten – war ihm über. Alle die böhmisch-luxemburgischen Herren – wie sie es nur in der kurzen Zeit hatten fertigbringen können! –hatten auch bereits die neue Haartracht getragen: Vollbart und langes Haar an Stelle des glattrasierten Gesichts und des kurzen Haarschnitts, wie es seit seinem frühesten Erinnern, ja wohl seit der Stauferzeit, Kavaliersitte gewesen war. Es hatte ihn wirklich überrascht und ihm imponiert, wie sicher und selbstverständlich der Luxemburger über Nacht in die neue Mode hineingewachsen war. Er hatte denn auch voll heimlicher Bewunderung mit Johann nur über Fragen der Mode gesprochen, dazu über Frauen, Pferde, Sport, und die Politik und die zu erledigenden geschäftlichen Fragen der Hochzeit seinen Räten überlassen. Seine Herren, der behutsame, ergebene Abt von Wilten, der vielbelesene, beredte Abt Johannes von Viktring, sein stattlicher Burggraf Volkmar, seine lieben, klugen Herren von Villanders, von Schenna, verstanden diese peinlichen, langweiligen Gelddinge ja wirklich viel besser als er selber, in ihren treuen und gewandten Händen lag die Abfassung des Vorvertrags viel sicherer. Er hatte sich darum auch auf das Gesellschaftliche beschränkt, und wenn König Johann die Vorzüge der Pariser und Burgunder Damen pries, mit denen er zu abenteuern liebte, so hatte er dem die festen Reize der Tirolerinnen entgegengehalten, die er sehr, aber sehr genau und aus immer neuer Anschauung kannte.
Schließlich hatte ihm dann sein lieber Sekretär, der Abt Johannes von Viktring, den fertigen Vorvertrag vorgelegt, hatte einen lateinischen Vers zitiert: »Und so wäre denn dieses zum schönen Ende beschlossen«, hatte versichert, jetzt sei alles gut und erledigt, er werde bestimmt zu Bartelemi die Braut und dreißigtausend Mark Veroneser Silbers bekommen. Und da war er nun und ritt herum auf seinem Festplatz. Die Zelte waren da, die Fahnenstangen, der Turnierplatz – aber keine Braut und kein Geld.
Am Wege des Königs stand ein kleiner Knabe. Er hatte das Pferd nicht kommen hören; er hockte eifrig und angestrengt im Winkel eines Zeltes, hatte den Rock hochgehoben, verrichtete seine Notdurft. Der König ergrimmte über solche Besudelung seines Hochzeitsplatzes, schlug nach dem Knaben. Gleich aber, wie der losheulte, hatte er Mitleid, bereute, warf ihm eine Münze zu.
Nein, es ging wirklich so nicht länger. Wie da die Zelte standen und warteten, das war Seiner Majestät unwürdig. Er wird Schluß machen mit dem Luxemburger und seinen windigen Projekten. In Innsbruck trifft er den Österreicher, den Herzog, den lahmen Albrecht. Mit dem wird er Kontrakt schließen, sich von dem Österreicher die Braut verschreiben. Ist er auf Luxemburg angewiesen? Gotts Marter! Was ihm Luxemburg nicht schaffen kann oder will, das wird ihm Habsburg schaffen.
Er war nicht geneigt, Verdruß lang in sich zu halten.
Sowie er seinen Entschluß gefaßt hatte, ließ er den Ärger in die freie, kalte, fröhliche Gottesluft hinaus. Er sah mit ganz anderen, lustigen Augen auf den festlichen Aufbau ringsum. Lacht ihr nur! Der wird jetzt bald seinen guten Sinn haben. Er richtete sich höher, pfiff ein kleines, keckes Lied, spornte sein Pferd, daß seine Herren sich beeilten, ihm nachzukommen.
Die fünf Herren des engsten Gefolges hatten, die weitläufige Zeltstadt durchreitend, halbe, andeutende, lächelnde Sätze über die verzögerte Hochzeit des Königs getauscht. Sie waren alle fünf weit begabter als ihr Herr, sie quetschten ihn, vor allem der brutale Burggraf Volkmar, nach Kräften aus, preßten ihm immer neue Belehnungen, Herrschaften, Steuerverpachtungen ab. Aber bei alledem hingen sie in ihrer Art an dem gutmütigen, sanguinischen, bequemen Fürsten.
Er war ein freigebiger Herr, fromm, ein guter Kumpan, geneigt zu Festen und Sport, den Frauen zugetan; er liebte modische Kleider, jegliches Behagen, er hatte auch Phantasie, war für jedes Unternehmen leicht zu haben; nur pflegte er rasch zu erlahmen, hielt nicht durch. In einer Zeit, in der alle Politik so ganz von der Persönlichkeit des Fürsten abhing, hatte ein solcher Herr nicht gerade die besten Aussichten, und seit dem böhmischen Abenteuer war er für die große europäische Politik auf alle Zeit erledigt. Sowenig er das ahnte, so genau wußten das die Herren. Sie wußten: mit ihm wurde Politik gemacht – nicht er machte sie.
Aus diesem Wissen heraus überschauten sie auch die Heiratspläne Heinrichs, und die wartenden Zelte hatten für sie einen sehr anderen, ironischeren Sinn als für den guten König.
Am Hebel der Geschicke des Römischen Reichs saßen drei Fürsten. Der rasche, glänzende, schillernde Johann von Luxemburg-Böhmen, der schwere, schwankende Ludwig von Wittelsbach, der zähe, weitsichtige Albrecht von Habsburg, den seine Lähmung hart und zum Lenker seiner mitregierenden Brüder gemacht hatte. Die drei Fürsten waren gleich an Macht, streckten die Hand nach der Herrschaft über das Reich und die Christenheit, saßen gespannt, belauerten sich. Äugten nach dem Land in den Bergen, nach Kärnten und Tirol, wo Heinrich saß, der alternde Witwer ohne männlichen Erben. Hier war eine Möglichkeit, die einzige, Macht und Besitz entscheidend zu mehren. Das Land in den Bergen, das reiche, schöne, fruchtbare berühmte Land, dehnte sich von den burgundischen Grenzen bis zur Adria, von der Bayerischen Hochebene in die Lombardei. War die Brücke von den österreichischen Besitzungen der Habsburger zu ihren schwäbischen, von Deutschland nach Italien, der Schlüssel zum Imperium. Seinen Herrn, den gutmütigen, alternden Lebemann, zu gewinnen, zu beerben, schien jedem der drei Fürsten erreichbar. Sie stellten seine Sehnsucht, zu seinen vielen unehelichen Söhnen und seinen beiden ehelichen Töchtern einen echten männlichen Erben zu haben, in ihre Rechnung, lockten ihn mit feinen Heiratsplänen.
Die fünf Herren, die drei Ritter in ihren Rüstungen, die beiden Äbte in Reisekleidern von sehr weltlichem Schnitt, lächelten, wenn sie daran dachten, wie König Heinrich diese Zusammenhänge nicht sehen, wie er sie vor sich selber verstecken wollte. Er tat, als mühten sich der Luxemburger, der Wittelsbacher, der Habsburger nur aus fürstlicher Lieb und Treue, aus Freundschaft, ihm die rechte Braut zu finden.
Am unbedenklichsten war dabei Johann vorgegangen, der Luxemburger. Erst hatte er Heinrich seine junge, schöne Schwester Maria angetragen und zwanzigtausend Mark Veroneser Silbers, als Gegengabe die Vermählung einer der Töchter Heinrichs mit einem der kleinen luxemburgischen Prinzen verlangend. Er hatte den alten, lüsternen Witwer mit Bildern Marias gereizt, ohne die zarte, feine, strahlende Prinzessin auch nur mit einem leisen Wort um ihre Zustimmung gefragt zu haben. Es war unschwer zu verstehen, daß die junge, liebliche Luxemburgerin, die Kaiserstochter, sich mit allen Mitteln gegen die Heirat mit dem alten, schlaffen Lebemann sträubte. Sie hatte ein Gelübde ewiger Jungfräulichkeit getan, aber dies Gelübde – die Herren feixten, als sie in schleierigen Worten davon sprachen – hatte sie nicht gehindert, wenige Monate später sich dem König von Frankreich zu vermählen.
Wahrscheinlich hatte Johann, von vornherein wissend, daß er seine Schwester niemals zu der Heirat mit dem Kärntner vermögen werde, den alten König, der sich kindisch auf einen wohlgestalten Prinzen aus dieser Ehe freute, nur hinhalten wollen. Gewiß war, daß er das zweitemal, im Fall der Beatrix von Brabant, ein leichtfertiges Spiel mit dem alten Fürsten trieb. Durch das Versprechen einer noch weit reicheren Mitgift hatte er Heinrich einen Vertrag abgelistet, dem zufolge Heinrichs kleine Tochter Margarete einen von Johanns kleinen Söhnen heiraten und, falls Heinrich ohne männliche Nachkommen mit Tod abginge, seine Länder erben sollte. Damit hatte er die Handhabe, sowie der alte Fürst ohne Sohn starb, seine Hand auf Kärnten, Görz, Tirol zu legen. Nun hatte er zwar durch sorgfältige Prüfung der mannigfachen Liebesabenteuer Heinrichs festgestellt, daß der rasch abgeblühte König in den letzten vier, fünf Jahren von keiner seiner Geliebten mehr ein Kind bekommen hatte. Immerhin, hier konnte kein Arzt und kein noch so erfahrener Lebemann mit Sicherheit voraussagen; je länger der Luxemburger die Heirat des Königs hinauszog, desto mehr schwand dessen Aussicht auf männliche Nachkommen, desto größer wurde die eigene Hoffnung, durch seinen kleinen Sohn das Land in den Bergen und damit das römische Imperium in die Hand zu kriegen.
Sehr genau sahen die Herren diese Verknüpfungen, sehr genau wußten sie, daß hier der letzte Grund war, aus dem die festlichen Zelte so leer und betrübt dastanden. Wenn des Luxemburgers liebe Muhme von Brabant, Tochter des Sire von Louvain und Gaesbecke, Nichte des verstorbenen Kaisers, des siebenten Heinrich, zögerte, wenn sie vorgab, sie sei die einzige Stütze ihrer Eltern, sie wolle ihr schönes Flandern nicht mit dem fremden, beängstigenden Bergland vertauschen –ei, sehr dringlich hatte ihr das der Luxemburger wohl nicht auszureden versucht.
Die Herren standen dem ganzen Heiratsplan, der recht eigentlich der Kern aller alpenländischen Politik war, im Grund unbehaglich und zwiespältig gegenüber. Der Burggraf Volkmar zwar, wuchtig und brutal in seiner gewaltigen Rüstung, sagte mit seiner harten, knarrenden Stimme, ob Luxemburg, ob Habsburg, es sei gut, wenn der König endlich die Braut im Bett habe; die Majestät und mit ihr sie selber, seine Räte und Herren, machten sich lächerlich von Sizilien bis in die fernste Nordmark mit diesem endlos verhinderten Beilager. Allein das klang ein wenig krampfig und unecht, und sowohl der schlaue, wortkarge Tägen von Villanders wie Jakob von Schenna, der feine, hagere Herr, der jüngste der Räte, zu dessen müdem Skeptikergesicht die Rüstung schlecht stand, machten zweifelnde Mienen. Der König Heinrich verstand so angenehm wenig von Finanzen; er überließ die Verwaltung ganz seinen Räten, und wenn die bei Rechnungsablage klagten, was für Mühe sie gehabt und wie sehr sie daraufgezahlt hätten, so bedankte er sich mit vielen freundlichen Worten und hielt trotz seiner immer leeren Kassen nicht zurück mit Belehnung, Privilegien, Steuerpachten. Man wurde auf schöne, leichte, behagliche Art fett bei ihm, rundete, mästete Gut und Truhe.
Wenn sich jetzt – die Herren seufzten – ein Fremder in diesen bequemen Pfuhl hineinlegt, wird man es, trifft man noch soviel Vorkehrungen, auf keinen Fall mehr so leicht haben.
Wirklich vergnügt waren die beiden Prälaten, der schlaue, kleine, magere Abt von Wilten und der betuliche, redselige, behagliche Johannes von Viktring.
»Lehrreich ist es und schön, das Treiben der Großen zu sehen«, zitierte dieser einen antiken Klassiker, und beide hatten sie ihre große, stille, sportliche Freude an der Diplomatie des Luxemburgers. Sie waren nicht unbescheiden; ob Heinrich, ob der Luxemburger, ob der Habsburger, sie werden von jedem herauszubekommen wissen, was sie für ihre freundlichen, sauberen, fetten Abteien brauchten. So warteten sie mit fast unparteiischer Neugier, wie der Kampf zwischen Albrecht von Österreich und Johann von Böhmen ausgehen werde, und beschauten mit Wohlwollen die dicke, fromme, gutmütige, lebenslustige Schachfigur, die König Heinrich in dem hohen Spiel der drei mächtigsten Deutschen darstellte.
Die Herren holten den König ein, der straffer auf seinem Pferd saß, sahen, wie er sich aufgehellt hatte, errieten seinen Entschluß, sich von dem Habsburger unter allen Umständen die Braut verschreiben zu lassen. Nun ja, so oder so, einmal mußte die Angelegenheit zum Streich kommen. Gut, man wird sich also auf den Habsburger einstellen.
Doch als nach wenigen Monaten die Zelte von Wilten sich endlich wirklich mit den Festgästen bevölkerten, war freilich eine andere Beatrix die Braut, jene, die Albrecht von Österreich vorgeschlagen hatte, Beatrix von Savoyen; allein Johann von Luxemburg hatte sich eingeschoben, Johann von Luxemburg hatte die Hochzeit vermittelt, den Vorvertrag unterzeichnet und garantiert, Johann von Luxemburg zahlte die Mitgift oder versprach wenigstens, sie zu zahlen, und sein kleiner Sohn Johann war der Bräutigam Margaretes von Kärnten und Erbe des Landes in den Bergen.
*
Die zwölfjährige Margarete, Prinzessin von Kärnten und Tirol, reiste von ihrem Stammschloß bei Meran nach Innsbruck zur Hochzeit mit dem zehnjährigen Prinzen Johann von Böhmen. Ihr Vater, König Heinrich, hatte ihr vorgeschlagen, sie solle die nahe Straße über den Jaufenpaß nehmen. Aber sie zog den riesigen Umweg über Bozen und Brixen vor, denn sie wollte sich weiden an den Huldigungen der menschenvollen Siedlungen an dieser Straße.
Sie reiste mit großem Gefolg. Die Herren ritten langsam, die schöngeschmückten, kostbaren Planwagen der Damen knarrten holpernd die bergigen Straßen hinauf, hinab, stießen erbärmlich. Viele Damen zogen Maultiere vor, trotzdem sich das eigentlich nicht schickte, oder sie ließen sich auch für eine kurze Strecke von den Herren aufs Pferd nehmen.
Die kleine Prinzessin saß in einer prunkvollen Roßsänfte mit ihrer Hofmeisterin, einer Frau von Lodrone, und ihrem Kammerfräulein Hildegard von Rottenburg, einem dürren, unansehnlichen, ungeheuer dienstwilligen Geschöpf. Die beiden Damen seufzten und lamentierten immerzu über den Staub der schlechten Straße, den Gestank der Pferde, das endlose Geschaukel; aber die Prinzessin ertrug die Strapazen ohne leiseste Klage.
Still und ernsthaft saß sie, aufgeputzt, pomphaft.
Die Taille war so eng, daß sie sie schnürte; die Ärmel aus schwerem, grünem Atlas hingen übertrieben modisch zum Boden; ein Eilkurier hatte ihr aus Flandern eines der neuartigen, kostbaren Haarnetze bringen müssen, wie sie eben dort aufgekommen waren. Eine schwere Halskette prahlte über dem Ausschnitt, große Ringe an den Fingern. So saß sie, ernsthaft, schwitzend, überladen, prunkvoll zwischen den verdrießlichen, ewig jammernden Frauen.
Sie sah älter aus als ihre zwölf Jahre. Über einem dicklichen Körper mit kurzen Gliedmaßen saß ein großer, unförmiger Kopf. Wohl war die Stirne klar und rein, und die Augen schauten klug, rasch, urteilend, spürend; aber unter einer kleinen, breiten, platten Nase sprang der Mund äffisch vor mit ungeheuren Kiefern, wulstiger Unterlippe. Das kupferfarbene Haar war hart, spröde, stumpf, ohne Glanz, die Haut kalkig grau, bläßlich, unrein, lappig.
So fuhr das Kind von Kärnten durchs Land unter einem strahlenden Septemberhimmel. Wo sie hinkam, grüßten Zinken und Trompeten, Glocken läuteten, Fahnen wehten. In Brixen holten Bischof und Kapitel feierlich die Tochter und Erbin ihres Schirmvogts ein.
Die großen Feudalaristokraten empfingen sie an den Grenzen ihrer Lehensherrschaften. Am Weichbild der Städte erwarteten sie mit festlichem Gruß die Behörden.
In klarer, kluger, lateinischer Rede, herrisch und sehr erwachsen erwiderte Margarete die unterwürfigen Worte der Huldigenden. Ehrfürchtig starrte das Volk sie an, grüßte sie wie das Sanktissimum, hob die Kinder hoch, daß sie ihre künftige Fürstin sähen.
War sie vorbei, schaute man sich an, feixte. »Das überworfene Maul! Wie eine Äffin!« höhnten Frauen, die unansehnlich waren und dürftig von Gestalt. Schöne hatten Mitleid. »Die Arme! Wie sie häßlich ist!«
So zog das Kind durch das Land, kalkig, blaß, dicklich, ernsthaft, schwer von Pomp wie ein Götzenbild.
In dem großen Empfangszelt der leinenen Stadt vor Wilten prunkten die kostbaren Gobelins und Teppiche, rauschten feierlich die Banner, standen gravitätisch die Wappen von Luxemburg, Kärnten, Krain, Görz, Tirol. Der zehnjährige Prinz Johann erwartete die Braut, die ihm vermählt werden sollte. Mager, knochig, sehr groß für seine Jahre, stand der Prinz, der dünne, lange Kopf leidlich hübsch, doch versteckten sich tief in den Höhlen bösartige, kleine Augen. Unbehaglich rieb er sich in seinen engen, modischen Kleidern, die schmale Brust peinlich zerstoßen in einer rein dekorativen Halbrüstung, die er bei diesem Anlaß zum erstenmal trug. So drückte er sich, schwitzend, sonderbar unsicher, zwischen den fünfzehn böhmischen und luxemburgischen Herren herum, die ihm das Geleite gegeben.
Trompeten, sich senkende Fahnen. Die Prinzessin kam. Der Erzbischof von Olmütz trat vor, begrüßte sie im Namen des Prinzen mit tönenden, geübten Worten.
Dann standen sich die beiden Kinder gegenüber, der geschmückte Knabe in seiner Zierrüstung und das prunkschwere Mädchen. Prüfend beschauten sie sich.
Unbehaglich blinzelte, scheu und trotzig aus kleinen, bösartigen Augen, Johann nach seiner häßlichen Braut; kühl, fast verächtlich sah Margarete auf den langen, stakigen, unsicheren Knaben. Dann, zögernd, zeremoniös, reichten sie sich die Hände.
Die Väter kamen. Bewundernd sah Margarete den riesigen, strahlenden König Johann. Welch ein Mann!
Und der Luxemburger, der ein sehr geübter Politiker war, überwand sich. Zuckte nicht zurück. Hoch hob er in seinen starken Armen das häßliche, dickliche, prunkende Kind, das seinem Sohn Kärnten, Krain, Tirol, Görz zubrachte, und vor aller Augen küßte er die Zitternde, ihm dringlich in die Augen Starrende, glückselig Erschlaffende auf den breiten, äffisch vorgebauten Mund. Der alternde König Heinrich stand froh und gerührt, die hellen Augen noch wässeriger als sonst. Mit seiner fleischigen, immer etwas zitternden Lebemannshand schüttelte er die kalt schwitzende, kraftlose, knochige seines kleinen Schwiegersohns, redete zu ihm wie zu einem Erwachsenen.
Und es klangen die Hörner, dröhnten die Pauken, das Festmahl begann. In Scharlach und Gold glänzte das Zelt, in dem die Kinder Galatafel hielten. Drei strotzende Tische bogen sich unter den Schaugerichten. Die Bistümer Trient und Brixen hatten ihr kostbares Tischzeug geliehen, die Städte Bozen, Meran, Sterzing, Innsbruck, Hall ihr Prunkgeschirr. Schwer zu Häupten des Brautpaars prahlten die Standarten mit den ungefügen Wappentieren. Hoch auf ihren wuchtigen, geschmückten Streitrossen trugen die ersten Herren Böhmens, Kärntens, Tirols die Speisen herbei für die fürstlichen Kinder, unter Vortritt der Musik. Ritter reichten Wasser, Handtücher nach jedem Gang, schenkten Wein, schnitten Speisen vor. Ernsthaft unter Scharlach und Gold mit alten Gesichtern thronten die Kinder.
Der gute König Heinrich schwamm in Glück. Er ging hinüber zu seiner neuen Gemahlin, der jungen, schüchternen, bleichsüchtigen, immer fröstelnden Beatrix von Savoyen, die am Tisch der fürstlichen Damen präsidierte, tätschelte ihre Hand, trank ihr zu.
Schlenderte wieder zurück zu dem Luxemburger, dem ersten Ritter, dem galantesten Weltmann der Christenheit. Es tat wohl, sich Seite an Seite mit diesem zu fühlen, eins mit ihm. Der war anders als der ernsthafte, fade Bayer, der Kaiser Ludwig, der immer nur von Politik sprach und von Militär. Der gehörte zu ihm, war von seiner Art. Er, Heinrich, lebte und liebte herum auf seinen Schlössern Zenoberg, Gries, Trient, auf den Burgen seiner Edelleute, und ihre Damen waren geehrt und erfreut, wenn sie ihrem Fürsten ihre Ergebenheit zeigen konnten. Auch auf Reisen ging er keinem Erlebnis aus dem Weg, sah es gern, wenn etwa der Magistrat einer Stadt ihn feierlich einlud, das Frauenhaus zu besuchen. Doch dieser Johann war ihm – Sakrament und neungeschwänzter Teufel! – noch über.
Es gab keine Stadt von der spanischen Grenze bis tief ins Ungarische, von Sizilien bis ins Schwedische, wo der nicht sein Wesen getrieben hätte. Durch die Straßen, nachts, strich er, verkleidet, lüstern wie ein Kater, scharmutzierte mit den Bürgersfrauen, prügelte sich herum mit gekränkten Liebhabern. Ganz Europa war voll von seinen merkwürdigen, frechen, süßen, glänzenden Abenteuern. Selig, schon sehr stark unter Wein, rückte Heinrich ganz nahe an den Luxemburger; er war ihm ehrlich zugetan, ganz ohne Neid. Gewiß, er war etwas älter, ein wenig reifer; aber alles in allem erblickte er in diesem Johann nur sein eigenes Widerspiel, so etwas wie einen gleichgearteten jüngeren Bruder. In fröhlicher Ahnungslosigkeit glaubte er, die Welt müsse in ihm selber das gleiche sehen wie er in jenem.
Er trank stark, gluckste, stieß mit schwimmenden Augen, in kichernder Kollegialität, den Luxemburger in die Seite, lallte ihm flüsternd anstößige Geheimnisse zu. Der kluge, glänzende Johann ging freundlich auf die greisenhaft geschwätzige Vertraulichkeit des Kärntners ein, ließ durch keine leiseste Geste merken, daß er ihn für einen alten Trottel hielt. Die beiden Könige steckten die Köpfe zusammen, legten sich die Arme um die Schultern, wisperten Lebemännisches, pruschten heraus.
Auch die übrigen Herren belebten sich, röteten sich.
Die Böhmen, die Luxemburger, die Tiroler verstanden einander nur schwer oder überhaupt nicht. Das war Anlaß mancherlei Spaßes. Immer wieder vor allem hörte man das dröhnende Gelächter der beiden natürlichen Brüder des Königs, Heinrichs von Eschenloh und Albrechts von Camian.
Das Kind Margarete schaute mit großen, klugen Augen zu ihren lustigen Oheimen hinüber. Ihre Damen, die Frau von Lodrone, das Fräulein von Rottenburg, baten verschämt, die Herren möchten ihre gefährlichen Historien vor den Kindern nicht so laut erzählen.
Die beiden welkenden Hofdamen hatten von dem süßen Wein getrunken, sie hatten fleckige Backen, lächelten säuerlich, angeregt, gelockt.
An der Tafel der Damen saß auch die jüngere Schwester Margaretes, die kränkliche, verkrüppelte Adelheid. Das menschenscheue Kind wäre viel lieber im Kloster geblieben bei den Nonnen von Frauenchiemsee. Doch Margarete hatte darauf bestanden, daß die Schwester bei ihrer Hochzeit erscheine. Da saß sie denn in dem festlichen Lärm zwischen den dröhnenden Rittern unter den Bannern und Schaugerichten, die Enkelin der kraftvollen Eroberer des Landes, fahl, verwachsen, leidend, den Hofzwergen sehr ähnlich, die vor ihr herumzappelten, krampfige, grobe Späße machten. Die sanfte Beatrix von Savoyen, ihre Stiefmutter, lächelte ihr zu, streichelte ihre Hand.
Der kleine Prinz Johann, der Bräutigam, saß finster, steif, beengt auf seinem Ehrenplatz. Die Kinder hatten noch fast nichts miteinander gesprochen. Zuweilen, mit einem schrägen Blick, streifte er seine Braut, die ganz sicher und ohne Scheu dasaß. Um sich über seine Verlegenheit hinwegzuhelfen, aß er viel und hastig durcheinander, trank auch von dem gewürzten Wein.
Schließlich befiel ihn Übelkeit; er machte zunächst ein grimmiges Gesicht, verbiß es, aber zuletzt konnte er es nicht mehr. Der Erzbischof von Olmütz mußte ihn hinausführen. Man lächelte ringsum, wohlwollend, freute sich, machte gutmütige Scherze. Margarete schaute kühl, verächtlich geradeaus.
Als er zurückkam, hatte er die Rüstung abgelegt, fühlte sich leichter. Düsteren, trotzigen Gesichts machte er sich über die Pistazien, Feigen, Lebkuchen, Latwerge, Bonbons her. Diese Reise, das häßliche, stolze Mädchen, seine Braut, das Fest, sein Vater, der alte, dicke Mann, der jetzt sein Schwiegervater war – alles war ihm tief zuwider. Er hätte in dem schmutzigen böhmischen Dorf sein mögen, das zum Schloß seiner Mutter gehörte, hätte sich herumraufen mögen mit den Bauernkindern, den Wenzeslaus, Bogislaw, Prokop. Er war lang, kräftig und feig. Er pflegte seine Spielkameraden rücksichtslos zu hauen, zu beißen. Wehrten sie sich, so nahm er es zunächst hin. Drohten sie aber, ihn zu überwältigen, so kehrte er plötzlich den Königssohn heraus, schäumte, verklagte, ließ hart bestrafen. Er war bei seiner Mutter erzogen, der böhmischen Elisabeth, die dem Luxemburger das Königreich zugebracht hatte. Sie war eine hysterische Dame, grell verliebt in ihren strahlenden Gemahl, wild eifersüchtig auf seine zahllosen Frauen. Vor allem haßte sie glühend die Witwe des verstorbenen Königs Rudolf, die Gräzer Königin, deren anstößige Beziehungen zu Johann das Land in Bürgerkrieg stürzten und verelendeten. In solchen jäh wechselnden Gefühlen, ihrem Gatten bald ekstatisch anhangend, bald ihn wild hassend und verfluchend, erzog sie auch den kleinen Johann. Er konnte sich mit seinem Vater kaum verständigen; der sprach kein Böhmisch, er kein Französisch; sie mußten Deutsch miteinander reden, das sie beide nur schlecht beherrschten. Auch sah der Knabe den Vater nur selten, wenn der für eine kurze Zeit rauschender Feste in sein Königreich zurückbrauste, das er nicht leiden mochte, dem er nur Geld ausquetschte, dem er sein Luxemburg, seine schönen rheinischen Besitzungen weit vorzog. Die Mutter zwang ihn dann, dem Vater je nach ihrer Laune Haß oder Liebe vorzuheucheln. So wurde das Kind sehr früh hinterhältig, verdrückt, trotzig, scheu.
Das helle, bergige Land Tirol, in dem alles so klar und scharf im Licht stand, war ihm unangenehm. Er sehnte sich zurück in sein wolkiges, dunstiges Böhmen. Er blinzelte, er fühlte sich satt. Der Wein regte ihn auf, er wollte jetzt etwas tun, befehlen, quälen.
Sein Kämmerling stand hinter ihm, goß ihm aus goldenem Krug Wasser über die Hände. Johann herrschte ihn an, er solle besser achthaben, er gieße ihm das Wasser über die Ärmel. Der Kämmerling rötete sich, zuckte mit den kurzen Lippen, wollte erwidern, bezwang sich, schwieg.
Margarete wandte den Kopf, ließ ihre klugen, raschen Augen über den Kämmerling gehen. Der Knabe war drei, vier Jahre älter als Johann, schlank, kühnes, mageres, gebräuntes Gesicht mit starker Nase und kurzen, vollen Lippen; langes, unbekümmertes, kastanienfarbenes Haar.
»Wie heißt Ihr Knabe Kämmerling, Liebden?« sagte sie mit ihrer warmen, klaren Stimme.
Johann sah schräg zu ihr herüber, mißtrauisch.
»Chretien de Laferte«, erwiderte er mürrisch.
Chretien war ihm seit etwa einem Jahr vom Hof seines Vaters beigegeben worden als älterer Spielgefährte und Kamerad, der ihm höfische Dienste leisten und vornehmlich französische und burgundische Sitte beibringen sollte.
»Geben Sie mir von dem Konfekt, Chretien!« sagte langsam, gleichmütig Margarete und sah ihn an.
Chretien, beflissen, reichte ihr die Schale mit Süßigkeiten. Sie brach mit großer Selbstverständlichkeit ein Stück in drei Teile, behielt den einen, reichte Johann den zweiten, den dritten dem befangenen Chretien.
Am Tisch der Herren beobachtete man den Vorgang, scherzte über die kindliche Nachahmung erwachsener Galanterie. Allmählich wurden die Scherze bösartiger. Man spöttelte über die ungewöhnliche Häßlichkeit der Braut. »Armer Junge!« sagte einer der Böhmen. »Der muß sich seine Länder sauer verdienen.« – »Da erobere ich lieber mit dem Schwert als so«, sagte ein anderer. – »Bis so ein Maul einem schmackhaft wird«, sagte ein dritter, »muß es dick geschmiert sein.« Die tirolischen Barone hielten sich zuerst zurück; aber schließlich, halb widerwillig, stimmten auch sie ein. Das Kind Margarete schaute herüber. Sie konnte unmöglich gehört haben; doch ihre großen, ernsthaften Augen schienen so wissend, daß die Herren fast betreten abbrachen.
Jakob von Schenna saß unter ihnen, der jüngste unter den Räten und Vertrauten König Heinrichs. Er war oft zu Gast auf den Schlössern des Königs. Das Kind Margarete sah ihn häufig. Er war der einzige, den sie mochte, dem sie vertraute. Er sprach nicht zu ihr mit jener törichten Herablassung, mit jener krampfigen Kindlichkeit, die sonst wohl Erwachsene annahmen, wenn sie mit ihr sprachen, und die sie bitter verdroß.
Er nahm sie und behandelte sie wie eine Große.
Er sah, wie sie prunkvoll feierlich dasaß, er sah den kleinen rohen, bösen böhmischen Prinzen, von dem kein Weg zu ihr führte, er sah, wie sie mit dem Kämmerling Chretien anzuknüpfen versuchte. Er hörte die schlimmen, verständnislosen Witzeleien über ihren armen Körper. Da stand er auf, schlenderte hinüber, stand vor ihr in seiner schlechten, nachlässigen Haltung, schaute sie höflich an aus seinen grauen, wohlwollenden, sehr alten Augen, machte gelassene, ernsthafte Konversation mit ihr. Wie ihr Herr Schwiegervater, die böhmische Majestät, glänzend aussehe, und wie man ihm die vielen Strapazen so gar nicht anmerke. Und daß der geplante Aufenthalt des Königs in Südtirol ihr selber, Margarete, wohl auch viele Mühe machen werde; denn der König werde wohl alle ihre Schlösser mit Gefolge und Mannschaft belegen. Und wieviel Geld ein allenfallsiger lombardischer Feldzug kosten werde. Der kleine Johann schielte herüber, verblüfft, wie gescheit Margarete redete.
Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben. Margarete führte noch ein kleines, formvolles Abschiedsgespräch mit ihrem Gemahl, bevor sie sich zurückzog. Sie fragte ihn nach den Eindrücken, die er von Tirol, von dem Hof ihres Vaters habe; ob er sich auf das bevorstehende Turnier freue; wünschte ihm, er möge sich bald heimisch fühlen. Ungeschickt, blöde erwiderte der Knabe, Widerwillen und eine gewisse trotzige Stumpfheit auf seinem nicht unschönen Gesicht. Als sie ging, stand der Kämmerling Chretien an ihrem Wege, riß die Zeltvorhänge auf vor ihr. Sie dankte gemessen, kühl, fremd, fürstlich.
Dann ließ sie sich in ihr Zelt tragen; sie war nun doch herzlich müde. Ihre Frauen kleideten sie aus, viel schwatzend, kichernd, einzelne Teilnehmer, einzelne Begebenheiten des Festmahls breitkauend. Sie lag bereits in ihrem Bett, die Frauen schwatzten noch immer.
Endlich gingen sie. Sie streckte sich, die Glieder erlöst aus dem schweren, engen Prunk. Nun wird sie aber gut schlafen. Sie hat es sich verdient. Sie war mit sich zufrieden. Sie hat sich gut gehalten, durchaus als Erwachsene, sehr fürstlich, hat sich vor den luxemburgischen und böhmischen Herren keine Blöße gegeben. Mit dem Johann freilich war nicht viel Staat zu machen.
»Mit euerm Prinzen ist aber auch nicht viel Staat zu machen«, bemerkte draußen mit grober, kichernder, mühsam gedämpfter Stimme die zusammenräumende Magd.
»Gegen eure Prinzessin«, höhnte der böhmische Knecht zurück, der ihr half und mit ihr sponsierte, »ist er immer noch ein lichter Engel. So was! Das Maul!
Die Zähne! Bei uns würde man so was gleich nach der Geburt ersäufen wie eine Katze.«
Der König Heinrich unterdes bezahlte die Zeche der Hochzeit. Es war eine sehr schöne Hochzeit. Es war begreiflich, daß sie viel kostete; er war kein Knauser. Bereitwillig streckten seine Herren ihm die großen Summen vor, bereitwillig, in fröhlichster Gebelaune, entlohnte er diese Gefälligkeit mit der Verpfändung von reichen Dörfern, Pflegen, Herrschaften, Zöllen und Gefällen. Warum sollte er seinem lieben Burggrafen Volkmar nicht Visiaun und Möltern überlassen? Er gab ihm noch Rattenberg dazu. Und es war nicht mehr als billig, daß der Abt von Wilten, der so lange für die schöne, leinene Hochzeitsstadt hatte sorgen müssen, den See zwischen Igls und Vill erhielt. Dann aber mußte man auch dem Kloster Viktring etwas geben.
Denn wenn nur Wilten was erhielt, war sein guter Sekretär Johannes mit Recht gekränkt. Also bekam auch Viktring etliche Höfe und Gülten. »Keine schönere Freude, als guten Freunden zu spenden«, zitierte dankend der beredte Abt einen antiken Klassiker.
Der Luxemburger war dabei, als König Heinrich, sorglos, formlos, gnädig, fröhlich und stark unter Wein, diese riesigen Schenkungen und Verpfändungen unterzeichnete. Auch er war freigebig; aber so bieder unverschämt hätten ihm seine Barone nicht kommen dürfen. Es wird gut sein, wenn man da dem alten, fröhlichen Herrn ein bißchen den Riegel vorschiebt.
Sonst verschenkt er das ganze Land, sagt noch merci, wenn man es annimmt, und zum Schluß hat sein kleiner Sohn nur die Prinzessinbraut und kann Sonntag davon machen! Auch die blasse, sanfte Beatrix, König Heinrichs junge Frau, sah erschreckt und verängstigt zu, wie ihr Gatte mit den reichen Besitzungen um sich warf. Sie war von Haus aus an enges, ängstliches Wirtschaften gewöhnt; auf die Art Heinrichs, fürchtete sie, würden bald selbst die Hemden ihrer Mägde verpfändet sein. Sie beschloß, die Finanzen selber in die Hand zu nehmen; ihr blasses, scheues Gesicht bekam auf einmal etwas Verbissenes.
Für die nächsten Tage war Turnier angesagt. Bei diesem Anlaß sollten mehrere junge Herren zu Rittern geschlagen werden. Margarete ersuchte unvermittelt ihren kleinen Gemahl, er solle dabei auch seinen Kämmerling Chretien de Laferte zum Ritter machen lassen.
Die Augen Johanns wurden noch kleiner, trotziger; er knurrte irgendwas. Margarete wiederholte ihren Wunsch herrischer, dringlicher. Prinz Johann sagte verdrückt, bissig, er wolle nicht. Er knuffte den Kämmerling in die Seite mit aller Kraft seiner kleinen, knochigen Faust. »Da hat er seinen Ritterschlag!« höhnte er, verzog hämisch sein langes Gesicht.
»Ich danke Euer Hoheit tausendmal für die Gnade«, sagte Chretien blutrot zu der Prinzessin; »aber wenn er doch nicht will.«
» Ich will, ich will!« sagte Margarete heftig mit ihrer vollen, dunklen Stimme. Sie lief zu ihrem Vater, zu dem König Johann. Lachend sagte man ihr zu. Chretien dankte der Prinzessin, hin und her gerissen.
Schon hatten ihn die Kameraden derb gehänselt wegen seines ziervollen Liebchens.
Am vorgesehenen Tag fand dann das glänzende Turnier statt, auf das ganz Tirol sich schon seit Jahren freute. Es war eine große Lustbarkeit. Vier Ritter wurden erstochen, sieben tödlich verletzt. Alle Welt fand, es sei das bestgeglückte Vergnügen seit langer Zeit.
Auch König Johann nahm an dem Stechen teil. Da er aber hatte erfahren müssen, daß man häufig aus Furcht, ihn, den König, zu besiegen, nur zum Schein mit ihm focht, ritt er unter dem Wappen eines gewissen Schilthart von Rechberg. Es hatte nun zwischen den Alpenländlern und den Fremden schon mancherlei Eifersüchteleien gegeben; auch fürchteten die tirolischen und kärntnischen Herren, der Einfluß der Luxemburger könnte ihre finanzielle Stellung bei dem guten König Heinrich gefährden. Unter dem fröhlichen Spiel stak also eine sehr ernsthafte, grimmige Eifersucht, und man sah es durchaus nicht ungern, brach von den Gegnern der eine oder andere die Rippen. Sei es nun Zufall, sei es, daß man sein Deckwappen verraten hatte – jedenfalls sah sich Johann bald im Kampf mit dem wuchtigsten und gefährlichsten aller tirolischen Ritter, dem ungeschlachten Burggrafen Volkmar. Sie rannten sich wild und rücksichtslos an, schließlich fiel der König, der eine bewegte Nacht hinter sich hatte, vom Pferd, wurde im Kot herumgewälzt, übel getreten und arg zerschunden aus dem Haufen herausgezogen. Er mußte sein Pferd um sechzig Mark Veroneser Silbers von dem Burggrafen lösen. Er verbiß den Ärger, daß gerade dieser plumpe, habgierige, widerwärtige Mann ihn abgestochen hatte, trug lachend, lässig, mit Haltung Lahmheit und Verdruß, rühmte mit vielen liebenswürdigen, sachkundigen Worten, wie gut vorbereitet und in jeder Hinsicht geglückt diese Tiroler sportlichen Spiele seien.
König Heinrich saß des Abends müde in seinem Zelt. Die Freude über das schöne Fest wurde geschwärzt; Rechnungen kamen, Rechnungen über Rechnungen. Die Fleischhauer von Bozen wollten Geld, die Bürger von Innsbruck präsentierten große Forderungen, der gute, gelehrte Abt von Marienberg wußte sich nicht mehr zu helfen vor seinen Gläubigern, die er mühelos hätte befriedigen können, zahlte ihm der König nur einen Teil dessen zurück, was er ihm geliehen. Heinrich hätte, wie gern, gezahlt und gezahlt; aber seine Kassen waren leer. Der König Johann schuldete ihm freilich die vierzigtausend Mark Veroneser Silbers Heiratsgut; mit der ungeheueren Summe hätte er alle seine Verpflichtungen decken können.
Aber es ging doch nicht an, den König zu mahnen.
Heute schon gar nicht. Spürte er doch am eigenen Leib, wie peinlich ein Fest durch so etwas gestört wurde.
So saß er denn in dicker Verlegenheit. Da stellten seine Herren vor ihn drei schmächtige, schattenhafte Männer. Sie waren sehr still, sehr demütig, sehr unscheinbar. Hatten rasche Augen, die aber sehr ergeben blicken konnten. Schauten einander sehr ähnlich. Der König erinnerte sich, sie gesehen zu haben, wußte aber nicht mehr, wo er sie hintun sollte. Das war natürlich.
Sie waren ja so klein, so gering. Sie verneigten sich viele Male, sprachen mit leiser Stimme.
Es waren Messer Artese aus Florenz, der Pächter der Münze von Meran, und seine beiden Brüder. Die Herren waren auch diesmal gern bereit, einem so gütigen christlichen König mit ihrem bißchen Kapital beispringen zu dürfen. Sie hatten eine einzige kleine Bedingnis: die Majestät solle ihnen die Einkünfte des Salzwerks von Hall überlassen. Das nette, kleine Salzbergwerk.
König Heinrich schrak zurück. Das Salzamt von Hall! Die erste Einnahmequelle des Landes! Das war ein teures Hochzeitsfest, das er da seiner Tochter gerüstet hatte. Selbst seine leichtherzigen Räte machten, als sie von dieser Bedingung hörten, bedenkliche Gesichter. Schickten schließlich seine junge Frau vor, die erwirkte, daß das Bergwerk wenigstens nur für zwei Jahre verpachtet wurde. Die Florentiner verneigten sich viele Male. Zahlten das Geld, nahmen die Dokumente an sich. Glitten fort, schattenhaft, grau, unscheinbar, einer dem andern sehr ähnlich.
Zu Herrn von Schenna sagte Margarete: »Glauben Sie, daß Chretien de Laferte Schlechtes von mir spricht? Sagen Sie ehrlich, Herr von Schenna, glauben Sie, daß er mit den andern lacht, weil ich häßlich bin?«
Jakob von Schenna hatte mit eigenen Ohren gehört, wie der junge Chretien, von den andern gehänselt als Ritter der häßlichsten Dame der Christenheit, erst an sich hielt, dann die Kameraden überbot an übeln Schmähungen Margaretes. Jakob von Schenna sah die großen, erfüllten Augen des Kindes in dringlichem, angstvollem Fragen auf sich. »Ich weiß es nicht, Prinzessin Margarete«, erwiderte er. »Ich kenne den jungen Chretien zuwenig. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, daß er übel von Ihnen redet.« Und er legte ihr seine große, dünne, kraftlose Hand auf den Kopf wie einem Kind, und sie litt es gern, daß er diesmal zu ihr war wie zu einem Kind.
*
Auf Schloß Zenoberg verhandelte König Johann mit den tirolischen Baronen. Er verlangte jetzt schon, als Vormund seines kleinen Sohnes, Huldigung für den Fall von Heinrichs Tod. Die Herren waren grundsätzlich bereit, forderten aber Sicherstellung ihrer Privilegien, Bürgschaften, daß ihnen der Luxemburger keine Landfremden in die maßgebenden Ämter setze. Außerdem verlangte jeder für sich, verblümt oder geradezu, Geld, Verschreibungen, Landbesitz, Handelsmonopole, Zölle.
Mit den Versprechungen und Bürgschaften war Johann sehr freigebig. Er unterzeichnete und ließ siegeln, was man wollte. Er hatte in Böhmen Erfahrungen gemacht; er wußte, das war letzten Endes eine Machtfrage. Konnte er Geld und Soldaten auftreiben, dann setzte er diesen frechen Gebirglern Franzosen, Burgunder, Rheinländer als Statthalter in den Pelz nach seinem Belieben. Brachte er kein Kapital und keine Armee auf, dann wird er in Gottes Namen seine Versprechungen halten. Vorläufig schrieben seine Notare sich die Finger wund: »Wir, Johannes, von Gottes Gnaden König von Böhmen und Polen, Markgraf von Mähren, Graf von Luxemburg, erklären hiemit und tun kund und zu wissen und verpflichten Uns mit Brief und Siegel.« Mit Geld war Johann etwas vorsichtiger. Er ließ zumindest die habgierigen, unersättlich feilschenden Herren merken, daß er sie durchschaue. Schließlich schmiß er ihnen dann das Verlangte ritterlich und verächtlich hin. Bargeld freilich nicht, das hatte er nicht, sondern langfristige Wechsel.
Auch der gute König Heinrich mußte betrübt erkennen, daß er seine vierzigtausend Veroneser Silbermark nicht so bald bekommen werde. Flott, gemütlich, vertraulich faßte ihn der Luxemburger um die Schulter, verpfändete ihm beiläufig die Gerichte Kufstein und Kitzbühel – die hatte er von seinem Schwiegersohn, dem Herzog von Niederbayern, dem er anderes dafür verpfändet –, vertröstete ihn auf das Frühjahr, rühmte seine langen, modischen Schuhe, die hübsche, dralle Frau, mit der er getanzt hatte. Heinrich brachte es nicht mehr über sich, wieder von den Finanzen anzufangen.
Des Abends spielte König Johann Würfel mit den Kärntner und den Tiroler Herren. Er setzte ungeheure Summen. Schließlich hielt ihm niemand mehr Widerpart als der brutale, stiernackige Burggraf Volkmar.
Der Luxemburger haßte den wuchtigen, rohen Mann, der ihn schon im Turnier besiegt hatte. Er steigerte seine Einsätze so, daß selbst König Heinrich den Atem anhielt. Verlor. Erklärte zum Schluß leichthin, über die Achsel, er bleibe die verlorenen Summen schuldig.
Der Burggraf knurrte, wurde gefährlich; mit geschmeidiger Schärfe funkelte Johann ihn nieder.
Merkwürdigerweise kehrte Johann, trotzdem Unruhen ausgebrochen waren, nicht nach Böhmen zurück.
Sein Land atmete auf. Es erschrak, wenn er kam. Sein Aufenthalt dauerte immer nur kurz, diente ihm nur, Geld auszuquetschen. Gut, daß er wegblieb.
Ja, er blieb in Tirol. Ging in das Gebiet des Bischofs von Trient. Saß, der strahlende Herr, der erste Ritter der Christenheit, untätig lauernd, zwielichtig schillernd; kein Mensch wußte, was er plante.
Der Bischof Heinrich von Trient fand sich durch diesen Gast sehr beschwert. Wie weit durfte er ihm entgegenkommen, ohne bei dem Papst oder dem Kaiser anzustoßen? Immer war ein so verwirrendes Zwielicht um diesen Böhmenkönig. Wo er hinkam, war wildes Gehetze, Getriebe. Kuriere jagten nach ihm von allen Höfen Europas, fanden ihn nicht. Denn der König verweilte selten lang an einem Ort; es trieb ihn über die Erde rastlos wie fließendes Wasser. Man wußte nicht, wohin, wie, warum. Ach, ginge er doch zurück in sein Land, der Verfluchte! Aber natürlich, das ließ er verkommen. Das liebte er nicht, das trübe, dumpfe Land. Spaß, daß er den helleren Westen vorzog, den Rhein, seine Grafschaft Luxemburg, Paris.
Der Bischof saß, ein großer, beleibter Herr, starkes, gebräuntes, italienisches Gesicht, sorgenvoll auf seinem Schloß Bonconsil, schüttete sich aus vor seinem Freund, dem Abt von Viktring, dem betulichen, klugen. Die beiden geistlichen Herren schimpften weidlich. Der Heide, der! Der Jerobeam! Grausam brandschatzte er seine Kirchen und Klöster. Hatte selbst vor dem Grab des heiligen Albert nicht haltgemacht, es nach Schätzen durchwühlen lassen. Kirchenschänder!
Herodes! »Aber einst wird erstehen aus unsern Gebeinen ein Rächer!« zitierte der gelehrte Abt einen antiken Klassiker.
Ja, dies war entschieden der gefährlichste, beschwerlichste Gast, den der Bischof seit Jahren gehabt hatte.
Ein gesalbter König, aber – der Bischof sagte es geradezu – ein Lump und Verbrecher. Ohne seine Krone wäre er schon hundertmal gehenkt worden. Er spielte falsch; der Abt bestätigte es; jetzt erst hatte er es wieder in Innsbruck getan. Er war der wüsteste Verschwender und Schuldenmacher des Säkulums. Dazu seine anstößigen Beziehungen zu den beiden böhmischen Königinnen. Recht hatte man gehabt vor zwei Jahren in Prag. Da hatte er das große Turnier gerüstet, die umständlichsten Vorbereitungen getroffen, die Häuser auf dem Markt niederlegen lassen, um Zelte und Tribünen zu errichten. Dann kamen von zweitausend Geladenen, von Kaiser und König und Fürsten und Herren, sieben schäbige, zweifelhafte Ritter und ein Genueser Bankier.
Leider aber war es zur Zeit durchaus nicht möglich, ihn so zu behandeln. Das war ja das Verzweifelte. Sein Ruf und Name wechselte wie der Mond. War man ihm vor wenigen Wochen ausgewichen wie einem Aussätzigen, so feierte man ihn heute als den leuchtendsten Helden der Christenheit, und selbst sein kahles, ausgeplündertes Böhmen ließ sich blenden, wenn er von strahlenden Siegen zurückkam.
Dringend warnte der Abt den Bischof, er solle sich ja nicht im geringsten mit dem Luxemburger einlassen. Seine Politik sei letzten Endes sinnloses Spiel.
»Kühlende Wellen locken mit Schillern und Glitzern den Wandrer; wirft er sich arglos ins Meer, ziehn sie ihn tückisch hinab«, zitierte er. Behaglich, mit literarischer Freude an der Zerlegung, sezierte er den Luxemburger und sein Gewese. Sein verfeinertes Rittertum begnüge sich nicht damit, in dickem Forst Riesen und geharnischte Männer aufzusuchen. Er liebe die viel bunteren Abenteuer der Politik. Nicht der Erfolg locke, ihn locke die gefährliche Freude an der Wirrung, am Getriebe. Wo immer in dem wirrseligen Europa ein Zwist sei, wo Kaiser und Papst sich stritten, König und Gegenkönig, Frankreich und England, lombardische Städte, Maure und Kastilier, überall müsse der Luxemburger seine gepflegte, spielerische Hand drinhaben. Verträge, Bündnisse stiften, Ehen kuppeln, Fäden anknüpfen, zerreißen, Krieg führen, Frieden schließen, Schlachten schlagen, verhindern, immer im dicksten Getümmel stehen, Freunde, Feinde machen, Soldaten, Länder nehmen, geben.
»Nur kein Geld«, seufzte der Bischof.
Der Abt schloß, sich freuend an der eigenen eleganten Beredsamkeit. Dieser geniale Projektenmacher sehe alle entferntesten Möglichkeiten, strecke seine Hand über das ganze Abendland, raffe an sich, lasse fallen. Und während Böhmen innerlich immer kränker werde, schlucke er immer neue Besitzanrechte, Länder, Städte, verstreut durch alle Grenzen, blase sich gigantisch auf. Der behagliche, betuliche Abt streckte sich, sprach rednerisch wie auf der Kanzel: »Aber wenn auch dieser Herr Johann noch so hastig über die Erde hinfährt, lachend, stattlich, strahlend, elegant, modisch, immer eidbrüchig, immer ohne Geld, immer von stürmischer, sieghafter Liebenswürdigkeit – es ist ihm ein Ziel gesetzt. Sein Gewese wird keine Frucht tragen, es ist sinnlos, es ist ohne Gott. Manchmal kommt mir der Böhme vor wie eine Puppe, wie ein Gespenst. – Maß ist in allen Dingen, gesetzt ist ihnen die Grenze«, zitierte er einen alten Schriftsteller.
Der Bischof glaubte das auch. Aber bis dahin konnte es noch gute Weile haben. Vorläufig jedenfalls hatte Gott dem Böhmen kein Ziel gesetzt, und er, der arme Bischof, hatte ihn auf dem Hals. Der beredte Abt wußte auch nichts weiter zu sagen, und die beiden Prälaten schauten schweigend, nachdenklich hinaus auf das rötliche, üppige Land, die geschwungenen, bräunlich-violetten Berge, schwer von Frucht und Wein.
Nein, vorläufig war dem Böhmen kein Ziel gesetzt.
Vielmehr saß dieser Herr Johann heiter und fest in dem besonnten Trient, dehnte sich, rekelte sich. Überließ sein langes Haar, den schönen, vollen Bart den wohligen Winden des südlichen Herbstes. Hofierte die deutschen und die welschen Damen Tirols. Durch die Lombardei flog es, durch die reichen, mächtigen Städte, durch die Schlösser der überstolzen Barone: Johann von Böhmen ist da, König Johann, der Sohn des siebenten Heinrich, Römischen Kaisers, Johann, der ritterlichste Mann des Abendlandes, Stern der Ghibellinen. Burgundische, böhmische, rheinische Ritter und Hauptleute zogen mit ihren Fähnlein in diesem herrlichen, gesegneten Herbst über den Brenner. Aus München der Kaiser Ludwig äugte mißtrauisch her. In Avignon der Papst, der zweiundzwanzigste Johann, ward unruhig. Wieder schaute das ganze Abendland auf den strahlenden, unberechenbaren Mann.
Die Parteiführer und Herren der Po-Ebene wetteiferten, ihn für sich zu gewinnen, schickten ihm Gesandte, Geschenke. Zwei prächtige Araberpferde kamen von Mastino della Scala und seinem Bruder, Herrn von Verona. Aber Brescia bot ihm durch seinen Vikar, Friedrich von Castelbarco, nicht nur Pferde, es bot ihm sich selbst an und lebenslängliche Herrschaft.
Aldrigeto von Lizzana ließ dem Vermögensverwalter Johanns viertausend Veroneser Silbermark auszahlen, bat den König – als Schutzherrn Toskanas und der Lombardei –, ihn mit dem brescianischen Ufer des Gardasees zu belehnen. Und plötzlich war auch Messer Artese aus Florenz da, der Bankier, grau, unscheinbar, schattenhaft, mit zwei Brüdern, die ihm sehr ähnlich sahen, und sehr viel Geld.
Und dann, ohne lange Ankündigung, sachte, setzte sich Johann in Bewegung. Nur wenige tausend Reiter folgten ihm. Aber glänzend gerüstet alle, erlesenste Soldaten. Rauschend strahlte der helle Zug durch das satte, reife Bergland. Süßer, schwerer, besonnter Herbst. Dicke Trauben, strotzende Früchte. Aus den violetten, rötlichen, bräunlichen Bergen goß sich die silberne, eiserne Flut in die Lombardische Ebene. Wie eine Braut glitt sie den Kömmlingen unter die Füße.
Bergamo, Pavia, Cremona in seinem Besitz ohne Schwertstreich. Fahnen, Glocken, Behörden auf Knien, die Schlüssel ihrer Städte darbietend. Die großen Barone demütig um Bestätigung ihrer Lehen flehend. Novara, Vercelli, Modena, Reggio von seinen Rittern besetzt. Feierlicher Einzug. Auf den Balkonen der herrlichen, bunten Häuser geschmückte Frauen, mit großen, gebannten Augen auf den Sieger schauend, der so gar nicht mühselig, schwitzend und bestaubt, der festlich wie im Tanz das weite, reiche Land besiegt. Der Kaiser, tief beunruhigt, schickt Sondergesandte, den Burggrafen von Nürnberg erst, den Grafen von Neiffen dann, was denn der Böhme in Italien wolle. Harmlos Johann; er plane durchaus nichts gegen Ludwig, nehme, was er erwerbe, für das Reich in Besitz; er wolle nur die Gräber seiner Eltern besuchen, des Römischen Kaisers, des siebenten Heinrich, Grab in Pisa, seiner Mutter Grab in Genua, die Leichen, wenn möglich, in die Heimat schaffen. Während zu Weihnachten in München alle Glocken unter dem päpstlichen Interdikt stumm bleiben, Kaiser Ludwig in seiner Hauskapelle vor kleinem Gefolg, das blanke Schwert hoch in der Hand, als Schirmvogt der Christenheit das Weihnachtsevangelium vorliest, hält Johann leuchtenden Einzug in Brescia. Kommt er für den Kaiser? Für den Papst? Nur für sich? Niemand weiß es. Weiß er es selber? Er schreibt sich Nachfolger des Kaisers, Friedensstifter. Die Gonzaga in Mantua, die Visconti in Mailand beugen sich ihm. Ein Königreich Lombardei rundet sich ihm, fällt ihm zu wie eine Frucht, die man sich vom Zweig langt.
An beiden Ufern des Po residiert er; nie hat ein Römischer König stolzer Hof gehalten. Er läßt sich huldigen von der Adria bis ins Ligurische. Lächelt tief, satt, fern. Stieg er mit festem Plan in die Ebene hinab?
Heute ist er der mächtigste Mann der Christenheit.
Hat den Rhein hinauf, hinunter, tief ins Frankreich hinein Land und Herrschaft. Hat Böhmen, Mähren, Schlesien, streckt sich weit ins Polnische. Hat Niederbayern durch seine Tochter, Kärnten, Krain, Tirol durch seinen Sohn. Hält den Wittelsbacher umklammert, liegt rings um den Habsburger. Hat jetzt das reiche, süße, oberitalienische Königreich. Reckt sich. Atmet. Hält Feste. Zieht die schönsten Frauen an seinen Hof. Manchmal auch, schattenhaft, unscheinbar, kommt mit seinen Brüdern Messer Artese aus Florenz, steht ferne, bescheiden, neigt sich viel Male.
*
Das Kind Margarete wuchs heran auf den Schlössern Zenoberg, Gries, Tirol. Lernte gern und viel. Fragte den klugen, redseligen, betulichen Abt Johannes von Viktring bei allem, was sie sah und hörte, warum, wieso. Trieb mit den Äbtissinnen der Klöster Stams und Sonnenberg Theologie. Der Prunk, die feierliche Ordnung der Liturgie zwangen ihr Bewunderung ab. Sie sprach und schrieb fließend Latein und Welsch. Interessierte sich brennend für politische und national-ökonomische Dinge. Hörte aufmerksam den historischen Vorträgen des gelehrten Abtes zu, und während die anderen seine begrifflichen politischen Theorien gelangweilt belächelten, konnte sie nicht genug davon kriegen. Gründlich unterrichtete sie sich bei den vielen fremden Gästen ihres Vaters über die Verhältnisse der andern Höfe und Länder. Verächtlich schnupperte sie, als sie hörte, Ludwig von Wittelsbach, der Bayer, erwählter Römischer Kaiser, der vierte seines Namens, spreche nicht Latein.
Sie streifte durch das Land. Zu Wagen, in der Pferdesänfte. Die Passer hinauf, hinab, durch die Rebenterrassen, Obstgärten. Ging mit wachen, klugen Augen durch die farbigen Städte Meran, Bozen. Beschaute die Bürger, ihre steinernen Häuser. Rathaus, Markt, Mauern, Pranger, Stock, Herbergen, Badehäuser, die Leichen der Gerichteten vor den Toren. Hielt rasche, herrische Einkehr in den Höfen der Bauern, den Wachhütten der Winzer.
Der gutmütige König Heinrich kümmerte sich wenig um sie. Er ließ sie treiben, was sie wollte. Erkundigte sich zuweilen zärtlich, ob sie denn mit ihren Kleidern hinausreiche, ob sie nicht mehr Schmuck, Pferde, Dienerschaft brauche. Fragte allenfalls, was sie von dem neuen flandrischen Koch halte, oder wie der genuesische Mantel stehe, den er sich eben habe machen lassen. Er ging ganz auf in Kleidersorgen, Stiftungen für Klöster, Festlichkeiten, Gastereien, Turnieren, Frauen. Wenn sie sich mit seinem klugen Sekretär unterhielt, dem Abt von Viktring, dann schaute er wohl gerührt auf sie, sagte zu Beatrix, seiner Frau, zu seinen Gästen: »Mein gutes Kind! Wie gescheit sie ist!«
Von den Klosterfrauen lernte sie singen. Es war erstaunlich, wenn unter der platten, breiten Nase aus dem äffisch sich vorwulstenden Mund die Stimme herausdrang, schön, warm, erfüllt. Während sie sonst mit ihren Kenntnissen nicht zurückhielt und ohne Scheu redete, sang sie fast nie vor Fremden. Des Abends, unter Obstbäumen, allein, sang sie ihre Lieder, kunstvolle aus Italien, aus der Provence oder auch einfache deutsche, wie sie sie rings vom Volk hörte.
Manchmal, selbst wenn sie allein war, brach sie mitteninne ab. Die Zwerge konnten sie hören. Die Zwerge wohnten in allen Berghöhlen. Sie aßen und tranken, spielten und tanzten mit den Menschen. Aber unsichtbar. Nur der regierende Fürst kann sie sehen, der zu Recht das Land beherrscht, in dem sie gerade verweilen. Ihr Vater hat die Zwerge gesehen, auch der Bischof von Brixen, in dessen Gebiet sie zuweilen kamen. Jakob von Schenna hat ihr Genaues von den Zwergen erzählt. Sie schrieben Briefe, bildeten unter sich einen Staat, hatten Gesetze und einen Fürsten, bekannten den katholischen Glauben, kamen heimlich in die Wohnungen der Menschen, waren ihnen hold. Sie führten Edelsteine mit sich, mit denen sie sich unsichtbar machen konnten. Sie fragte Herrn von Schenna, warum sie sich unsichtbar machten. Herr von Schenna wich aus. Durch Zufall, von einer Magd, erfuhr sie den Grund. Weil sie sich ihrer Häßlichkeit schämten. Sie ward noch fahler als sonst. Schluckte.
Mit peinlichster Sorge pflegte sie ihren Körper. Sie nahm täglich ein Dampfbad, wusch sich mit Kleienwasser, französischer Seife. Sie wickelte das Zahnpulver in frisch geschorene Wolle, ehe sie ihre großen, schräg vorstehenden Zähne reinigte. Sie pflegte ihre Haut mit Weinsteinöl, gebrauchte rote Schminke aus Brasilholz, weiße aus gepulverten Zyklamenknollen.
Des Nachts legte sie eine Wachsmaske auf, ihren unreinen Teint zu bessern. Sorglich, mit Opfern, gehorchte sie jeder neuen Modevorschrift.
Mußte sie dann sehen, wie gleichwohl jeder drallen, ungewaschenen Bäuerin mehr wohlgefällige Männerblicke folgten als ihr, dann wandte sie mit einem Ruck ihre Gedanken von diesen Dingen, stürzte sich mit hitziger Energie in Studium und Politik. Wog zum hundertstenmal Macht, Möglichkeiten, Einflußkreise der Habsburger, Wittelsbacher, Luxemburger gegeneinander ab. Habsburg, Luxemburg, Wittelsbach, das waren keine kahlen, politischen Begriffe für sie. Die Menschen, die diese Namen trugen, ihre Farben, ihre Länder, die Tiere ihrer Wappen, ihre Berge, Flüsse, Kirchen mischten sich ihr zu geheimnisvollen Einheiten.
Albrecht von Habsburg etwa war verteufelt klug, energisch, bitter, aber er lahmte. Mit ihm lahmten seine Länder, die Donau, die Stadt Wien, die Pranke seines Wappenlöwen. König Johann, der Luxemburger, das war nicht nur ein weltläufiger, galanter Herr. Seine Füße waren Toskana und die Lombardei, Rhein und Elbe seine Adern, das helle Luxemburg sein Herz. Und Bayern konnte sie sich nicht vorstellen ohne die lange, bedächtige Nase Kaiser Ludwigs und ohne seine riesigen, sonderbar toten blauen Augen. Wenn die drei Fürsten sich belauerten, sich umschlichen, sich vertrugen, sich bekriegten, bekriegte und verhöhnte sich die Welt in ihnen, und in den Wolken führten die Tiere ihrer Banner einen mystisch gewaltigen Kampf.
Ihren Gemahl, den Prinzen Johann, sah sie nicht sehr oft. Trotz seiner Länge und Aufgeschossenheit wirkte er hinter seinen Jahren zurückgeblieben. Sein mageres Gesicht, an sich nicht unschön, schien immer roher, stumpfer und, durch die kleinen, versteckten Augen, bösartiger. Er haßte die Bücher, lernte nur notdürftig schreiben. Gern trieb er körperliche Übungen.
Schlug sich mit den Jungen herum, mit denen der Bedienten lieber als mit seinen adeligen Kameraden, jagte, ritt. Betätigte sich als Vogelsteller, trieb, nicht ohne Geschick, Falkenbeize, fing Wild in Schlingen. Quälte Tiere. Spielte den Bauern üble Streiche. Ein Bauernbursch, der ihn nicht kannte, verprügelte ihn. Wurde gefangen, in den Stock gesetzt, gepeitscht. Der Prinz schaute gierig zu, hetzte die Büttel.
Margarete lachte er aus wegen ihrer blöden, pfäffischen Gelehrsamkeit, riß ihr gelegentlich ihre Schriften weg, zerraufte ihre Frisur. Sie trug es. Es war notwendig, daß ihr Mann ein Luxemburger war. Seine Roheit mußte hingenommen werden. Aber schweigend stapelte sie Wut und Verachtung. Auch Chretien de Laferte, des Prinzen Adjutant und Kämmerling, verwünschte seinen jungen Herrn in die tiefste Hölle.
Margarete sah den schlanken jungen Menschen sehr selten. Beachtete ihn wenig. Der betuliche, skeptische, redselige Abt von Viktring, der alle Dinge bereden mußte, neckte sie gelegentlich wegen des Jungen. Sie schlug, gegen ihre Gewohnheit heftig, zurück.
Am liebsten war sie mit Jakob von Schenna zusammen. Der junge, hagere, schlecht sich haltende Herr mit dem feinen, alten Gesicht freute sich immer, wenn er sie sah. Sie war nun vierzehn, er an die dreißig. Aber es ging eine willkommene Bindung von ihm zu ihr.
Was er sprach und tat, klang, als wäre es in ihr gewachsen. Sie fühlte sich wohl in seiner Welt. Zwischen ihr und den andern Menschen war Kälte. Sie lachten sie aus, sahen sie mit Widerwillen an, bestenfalls mit Mitleid, weil sie häßlich war. Weil sie Prinzessin war, zeigten sie das nicht im Licht. Aber sie sah weit ins Dunkle hinein, oh, sie hatte scharfe Augen, sie wußte, wie man mit ihr stand. Doch von Schenna zu ihr ging es warm und freundlich herüber. Seine großen, weichen Hände, seine grauen, gescheiten, wohlwollenden Augen waren voll Achtung für sie, voll Herzlichkeit und Kameradschaft.
Jakob von Schenna war reicher und mächtiger als seine Brüder Estlein und Petermann. Er hatte sieben feste Schlösser, neun Gerichte und Pflegen, weiten Besitz an Weingütern, Gerechtsamen, Zöllen, Geld. Er pflegte von diesem Besitz wegwerfend und mit einer gewissen Ironie zu sprechen. Aber er hing daran, streichelte liebkosend das Laub seiner Reben, den besonnten Stein seiner Schlösser. Dies waren seine Reben, seine Burgen. Zwar war Besitz und Geltung an sich verächtlich; aber leider machten einem die Menschen das Leben zu unbequem, hatte man die beiden nicht. Oft sprach er dem Kind davon, wie übel der tirolische und kärntnische Adel den guten König Heinrich ausbeute.
Leider mußte er mittun, sonst hätte eben seinen Teil ein anderer, weniger Würdiger an sich gerafft. So beutete denn auch er aus, skeptisch, mit gelassenem Bedauern und voll von Mitleid mit der gerupften Majestät.
Seine Schlösser waren die schönsten und gepflegtesten des Landes in den Bergen. Die Schlösser der andern waren nur auf Sicherheit und Festigkeit gebaut; innen waren sie ungemütlich, ihre Gelasse klein, feucht, dunkel, ohne Luft, kellerig, überall stand der Stank der Ställe. Seine Burgen, vor allem seine Lieblingssitze Schenna und Runkelstein, waren hell und voll Sonne. Italienische Architekten hatten sie gebaut; sie waren angefüllt mit schönen Dingen, Teppichen und Zierat. Während die Mauern der andern notdürftig geweißt waren und höchstens die Wände der Kapelle Heiligenbilder trugen, hatte er seine Säle von deutschen und italienischen Meistern mit Fresken ausmalen lassen. Ja selbst die äußere Südwand seiner Lieblingsschlösser trug solche Malerei. Bunt und hell schritt der Ritter mit dem Löwen, Tristan fuhr auf seinem Schiff, Garel vom blühenden Tal erlebte seine Abenteuer.
Herr von Schenna liebte sehr die Verse, die diese Geschichten erzählten. Margarete wußte nichts damit anzufangen. Sie begriff die lateinischen Verse, die der redselige Abt von Viktring so gern zitierte, verstand Horaz, die Äneis. Das war Sinn, Gesetz, Würde, strenge Bindung. Aber diese deutschen Verse schienen ihr Tollheit, nicht besser als die wüsten Einfälle ihrer Hofnarren und Hofzwerge. War es eines ernsthaften Menschen würdig, Dinge, die niemals waren und nie sein werden, in verrenkten Worten zu erzählen? Herr von Schenna suchte ihr begreiflich zu machen, daß diese Menschen, die Tristan und Parzival und Kriemhild, lebten und wirklich waren, sooft einer sie las und spürte. Aber dies wollte sie nicht wahrhaben. Seine Geschichten blieben für sie bunte, widerwärtige Lügen; sie begriff nicht, daß der gescheite, ernsthafte Mann an solchen Windbeuteleien Freude haben konnte.
*
Den Kaiser hatten die raschen Fortschritte Johanns in Italien tief beunruhigt. Auch der führende Habsburger, der lahme, kluge, verbitterte Albrecht, sah mit wachsendem, knirschendem Ingrimm das leuchtende Lombardische Reich Johanns aus dem Nichts sich heben. Wie, sollte durch eine freche Wendung der leichtsinnige, unernste Luxemburger sie, die Ernsthaften, Gewichtigen, von der Macht drängen, sich über sie hinausheben? Sie blinzelten einander zu, der schwerfällige, langsame Bayer, der zähe, bittere Habsburger. Sie hatten sich immer gehaßt. Aber sowie der Dritte sie überflügeln wollte, einte sie das gegen ihn. Sie schlichen zusammen, Ludwig, der große, langnäsige Wittelsbacher mit dem massigen Nacken und den riesigen blauen Augen, Albrecht der Lahme mit den verkniffenen Lippen. Sie berochen sich, nickten sich zu, schlossen Übereinkunft.
Legten fest, das südliche Reich müsse den Luxemburgern entrissen werden. Sterbe König Heinrich, so solle Kärnten an die Habsburger, Tirol an die Wittelsbacher fallen. Kaiser Ludwig sicherte ebenso feierlich wie ein Jahr zuvor den Luxemburgern jetzt den Habsburgern die Erbfolge in Kärnten zu. Was die Lombardei betraf, so verbanden sie sich mit anderen, gemeinsam herzufallen über den Luxemburger. Der Kaiser berief seine pfälzischen Vettern, Johann am Rhein zu beunruhigen, seinen Eidam von Meißen, seine Söhne Ludwig den Brandenburger, Stephan. Der Herzog von Österreich mit den Königen von Ungarn und Polen sollte in Mähren einfallen.
Der Luxemburger unterdes regierte königlich im toskanischen Frühling. Er ließ seine Söhne kommen, den älteren, Karl, den jüngeren, Johann. Der hatte keine Lust. Margarete erbot sich, ihn zu vertreten.
Sie fuhr mit kleinem Gefolge – Chretien de Laferte führte es – in den lombardischen März hinein. Am Ufer satt leuchtender Seen, Oliven silbern die Hänge hinauf, dunkle Haine von Zitronen und Orangen. Narzissenfelder. Rosige, helle Mandelblüten. Bunte, lärmende Städte, Paläste, rasche, laute Menschen. Vor der Stadt des Bischofs von Aquileja, dessen Schirmvogt ihr Vater war, das Meer, die schaukelnden, kühnen Schiffe, die Ferne, endlos, abenteuerlich.
Der strahlende Triumph Johanns. Seine Feste, unter dem hellen Himmel doppelt freudig und sinnvoll. Die prunkenden, blühenden, überstolzen Frauen. Sie kam sich sehr allein und elend vor, hielt sich fern von den jungen Frauen, zeigte sich nur in der Gesellschaft alter, reizloser. Doch auch von diesen fühlte sie sich verachtet, bestenfalls bemitleidet. Sie waren nun welk und dürr; aber sie hatten doch einmal geblüht. Sie war in ihrer Blüte kahl und ohne Reiz. Unter diesem Himmel galt es noch weniger, daß sie klug war und von edelstem Blut und wissend. Unter diesem Himmel sah man nur das eine, immer nur dies: daß sie häßlich war.
Sie war nicht feig, verkroch sich nicht, schluckte die ganze Bitterkeit solcher Erfahrung. Erschien bei Tafel, in der Loge beim Turnier, beim Tanz. Sah, wie beim Anblick des jungen adeligen Chretien, der hinter ihr schritt, die Lippen der Frauen sich öffneten, ihre Blicke voller wurden, verlangender, gewährender; wie sie dann abschätzig, höhnisch über sie selber glitten, den äffisch sich vorwulstenden Mund, die fahle, widerwärtige Haut. Sie wandte den Blick nicht ab vor solchem Hohn; kühl und so wissend begegneten ihre Augen den Höhnischen, daß die, fast beschämt manchmal, abließen.
In Brescia traf Margarete zum erstenmal den Prinzen Karl, Johanns ältesten Sohn. Der Sechzehnjährige sah sehr erwachsen aus. Er hatte in Böhmen schon Regierungsgeschäfte selbständig erledigt, war beherrscht und gemessen. Von der Mutter hatte er gelernt, sich von dem Glanz des Vaters nicht blenden zu lassen. Mit seinen kühlen braunen Augen sah er Margarete, sah, daß sie häßlich war und gescheit. Man konnte mit ihr reden. Und während Johann im Palast der Signoria mit der wunderschönen Giuditta von Castelbarco den Tanz anführte, während festliche Kerzen brannten, so schwer, daß drei Männer nur mit Mühe sie hatten heben können, sprachen die beiden Kinder, des Königs Sohn und des Königs Schwiegertochter, unter Musik, Fahnen, silbernen Rittern, huldigenden Unterworfenen, nüchtern, sachlich von der Rückwirkung der lombardischen Ereignisse auf die Souveränität des Bischofs von Trient, von der schwierigen Finanz lage.
Bis in den Juni hinein dauerte Johanns festliche Herrschaft in Italien. Margarete, trotz aller Kritik, konnte sich der theatralischen Blendung dieses Triumphzugs nicht entziehen. Dann wurden die Nachrichten aus Deutschland und Böhmen so bedrohlich, daß Johann jäh aufbrach, seinen Sohn Karl zurückließ, sich nach Böhmen warf. Hinter ihm, sofort und unvermittelt, brach sein abenteuerliches Italienisches Reich zusammen. Mit großen, erschreckten Augen sah Margarete, wie die lombardischen Herren, kaum war der König fort, aufwachten wie aus einem Rausch, sich zusammenschlossen, mit Robert von Apulien zettelten, trotz tapfern und geschickten Widerstands des Prinzen Karl die Luxemburger in wenigen Wochen aus dem Land warfen. Zersprengt, trist, schmachvoll, schwitzend flohen die silbernen Ritter aus der Lombardei, über der glühender Sommer braute. Johann verpfändete in aller Eile noch während des Zusammenbruchs, übel feilschend, an einzelne leichtgläubige deutsche Herren italienische Städte, die er längst verloren hatte. Aber er konnte mit diesen Summen nur einen ganz kleinen Teil decken von den riesigen Beträgen, die der toskanische Feldzug ihn gekostet hatte.
Und nach langen Jahren noch, in Paris, in Prag, in Trier, wo er gerade residierte, erschien schattenhaft, unscheinbar, oftmals sich neigend, Messer Artese, der Florentiner, mit seinen beiden Brüdern und zeigte Verschreibungen vor, Wechsel, die einzigen Bleibsel des lombardischen Königreichs.
Seltsamerweise gewann Johanns italienisches Abenteuer gerade durch seinen Zusammenbruch für Margarete an Gewinn und Wirklichkeit. Nun war es vergangen und abgeschlossen, nun war es Geschichte, nun war es da. Ja, sogar die Verse des Herrn von Schenna, seine unglaubhaften Historien wurden dadurch leibhafter, wirklicher. Was König Johann in der Lombardei getan und erlebt hatte, das klang wie eine jener Fabeln. Und war doch wirklich, sie hatte es mit eigenen Augen gesehen.
Praktisch galt es, sich nicht verwirren zu lassen.
Nahm man die Dinge nüchtern und klar, so war Johann an seinem Geldmangel gescheitert. Geld war nicht alles; aber es war ungeheuer wichtig. Schade, daß ihr Vater das ebensowenig einsah wie ihr Schwiegervater. Sie sprach oft mit Johann von Viktring darüber.
Da war der Heilige Vater ein anderer. Der saß, der zweiundzwanzigste Johann, zwerghaft, uralt, in seinem Palast in Avignon und häufte Geld. Schichtete es in Münzen, in Barren, in Silber und Gold, in Wechseln und Verschreibungen. Ei, wie luchste er scharfen Auges, daß auch jeder pünktlich Zehnten und Abgaben zahle. War ein Bischof im Rückstand, gleich kam der Papst mit dem Bann. Der arme Bischof Heinrich von Trient! Was nützte ihm sein eifriger Kampf für das rechtmäßige Papsttum! Weil er die sechshundertvierzig Dukaten nicht aufbringen konnte, die Avignon von ihm verlangte, flog der Bannstrahl gegen ihn. Und wie geschickt wußte der Papst die hohen Kirchenstellen zu besetzen! Jeder neue Bischof hatte die Gesamteinkünfte eines ganzen Jahres an die Kurie zu verabfolgen.
Starb nun ein Bischof, so ward nicht etwa ein neuer Prälat an seine Stelle gesetzt, nein, der Papst berief den Inhaber eines andern Bistums in das erledigte, so daß mit dem Tod jedes Bischofs eine ganze Reihe päpstlicher Lehen frei ward. So war ein ewiger Wechsel in der hohen Hierarchie, ein Kommen und Gehen wie in einer Herberge, und der Heilige Stuhl bezog die fettesten Annaten. »Umsatz! Umsatz!« sagten der Papst und seine Kassiere. Ja, Papst Johann verstand es. Kein Wunder, stammte er doch aus Cahors, der Stadt der Bankiers und Börsenleute. Der größte Teil des abendländischen Goldes floß in seine Kassen. Der Papst hing an dem Geld; er brachte es nicht über sich, es weiterzuverwerten. Er hätte Rom und Italien damit wiedererobern können. Aber er liebte sein Geld zu sehr, er konnte sich nicht davon trennen. Er saß in seinem Avignon, uralt, gnomenhaft klein, über seinen Schätzen, streichelte die Wechsel und Verschreibungen, ließ das Gold rieseln durch seine dürren Zwergenfinger.
Verdarb sich der kluge, energische, rastlose Papst seine Politik durch seine Habgier, so litt die Diplomatie des Kaisers sowohl wie des Luxemburgers und des Kärntners an ihrer Leichtherzigkeit in Finanzdingen.
Aufmerksam hörte Margarete zu, wenn ihr der Abt auseinandersetzte, wie klar und sicher ihr Großvater Meinhard seine Geldwirtschaft fundiert hatte. Trüb und stirnrunzelnd sah sie zu, wie ihrem gutmütigen Vater alle Einkünfte in der Hand zerrannen. Wie er, um ein Pfand vor dem Verfall zu retten, immer größere und wichtigere hingab.
Auch ihre Stiefmutter, die blasse, scheue Beatrix von Savoyen, litt sehr unter der wilden Finanzwirtschaft König Heinrichs. Sie war von ihren tüchtigen Eltern her ein sparsames Haushalten gewöhnt, und so scheu und bescheiden sie sich sonst im Schatten hielt, lag sie schließlich ihrem Gatten ständig in den Ohren wegen seiner Verschwendung. Sie war kränklich; König Heinrich sah ergeben und voll wässerigen Kummers, daß er auch von ihr keinen Erben zu erwarten habe. Sie aber gab die Hoffnung nicht auf. Sie rechnete, sie sparte, ließ sich von ihrem Mann Zölle und Gefälle verschreiben, erreichte es sogar, zäh kämpfend, daß nach Abfindung des Messer Artese von Florenz die Einkünfte des Haller Salzbergwerks ihr übertragen wurden. Sie wurde hart, habgierig, knauserig, alles für ihren Sohn, auf den niemand mehr hoffte, nur sie.
Oft beriet sie mit Margarete, wie man da und dort den übeln Finanzen aufhelfen könne. Trotzdem Margarete solches Bestreben willkommen war, sah sie säuerlich und mit Widerwillen auf ihre Stiefmutter. Wie dürftig sie war, wie unfürstlich verstaubt und trocken bei aller Jugend! Margarete gestand sich nicht ein, daß dies nicht der Hauptgrund war, aus dem sie ihre Stiefmutter nicht leiden mochte. Die war sanft und freundlich zu ihr, fühlte sich ihr schicksalhaft verwandt. Sie hatte keinen Sohn, jene, die Ärmste, war so häßlich.
Beide hatte sie Gott in ihrem Weiblichsten gekränkt und verkümmert. Aber Margarete wollte nicht hinüber zu ihr, drückte ihre streichelnde Hand nicht wieder. Denn Beatrix stand zwischen ihr und der Herrschaft. Was sonst blieb ihr, der Häßlichen, als die Hoffnung auf Herrschaft? Genas aber Beatrix trotz allem eines Knaben, dann war auch dies Letzte dahin.
König Heinrich duldete die Bevormundung durch seine Gattin lächelnd und mit scherzhaft sich auflehnendem Raunzen. Nur in einem duldete er keine Einrede, und dahin wagte sich auch Beatrix niemals: seine Freigebigkeit gegen die zahlreichen Frauen, die ihm gefielen, und gegen ihre Kinder blieb ohne Grenzen.
Wie er seine natürlichen Brüder, Albrecht von Camian und Heinrich von Eschenloh, in hohen Ehren hielt und sie mit Titeln, Würden, Herrschaften reich begabte, so wuchsen auch auf allen seinen Schlössern und Gütern Kinder von ihm heran. Er war viel zu gutmütig, Beatrix einen Vorwurf zu machen. Immerhin tat es ihm wohl, sich zu sagen: es lag nicht an ihm, wenn er keinen Erben hatte; es war Pech, schlechter Stern. So ging der alte Lebemann stolz und gehoben durch das blonde, schwarze kleine Gewimmel seiner Kinder. Er tätschelte sie gerührt: »Das da hat meine Augen! Und der da meine Nase.« Von einem Großen: »Er geht gerade wie ich. Der holt sich noch viele Preise im Turnier!« Einen ganz kleinen Matz, der noch kaum aussah wie ein Mensch, hob er hoch: »Er hat ganz genau mein Gesicht.« Und er verhätschelte die Kinder, schenkte ihnen Spielzeug, Zuckerwerk, auch Wiesen, Wälder, Berge, Schlösser.
Margarete sah mit Sympathie auf ihre Halbgeschwister. Vor allem mochte sie den schon fast erwachsenen Albert gerne leiden, den König Heinrich zum Ritter geschlagen und mit dem Gericht Andrion belehnt hatte. Der blonde junge Herr hatte die ganze Gutmütigkeit seines Vaters, dazu eine starke, fröhliche Sicherheit in allem Gehabe, eine federnde, immer gleiche Heiterkeit. Er hatte nie den leisesten Spott für Margarete. Er selber war durchaus ohne Sinn für Bücher und Theorie und bewunderte ungeheuchelt ihre Gescheitheit und Wissenschaftlichkeit. Sie dankte es ihm, daß seine Achtung nicht durch ihre Häßlichkeit gemindert wurde.
Auf die Frauen, denen sie begegnete, stets neuen, wo immer ihr Vater war, schaute sie mit langen Blicken, nicht übelwollend, fremd und voll neidischer Sehnsucht. Es waren Frauen jeden Standes, jedes Temperaments, deutsche und welsche; einige raschelten durch die Gänge, andere gingen schwer und lässig, wie hohe Glocken lachten die einen, die andern sprachen tief und langsam: alle aber, wenn sie der Prinzessin begegneten, wurden scheu, befangen, verkrusteten sich in einer Art feindseligen Mitleids. Ach, wer leben dürfte wie diese, so leicht und lässig! Ihr war es nicht erlaubt, sie war häßlich und war Prinzessin. Sie mußte streng sein mit sich. Sie durfte nicht rascheln wie die Eidechsen, sie mußte ihre harte, steile Straße gehen, geradeaus und immerzu, wie ein geschmücktes Saumtier, das, mit Prunk und Schätzen schwer bepackt, einem großen Herrn Geschenke bringt.
Sie grübelte. Sie sprach mit dem Abt von Viktring darüber. War es eine Strafe Gottes, daß sie so häßlich war? Was wollte Gott mit ihr? Der Abt zitierte Anselmus: »Schneller vergeht nicht die Stunde, als wechselt der Anblick der Dinge. Diesseits und für nichts ist irdische Zierde zu achten.« Da er sah, daß solcher Trost nicht verfing, fragte er, ob sie es vorzöge, niedrig zu sein, eine Bauerstochter und den Männern wohlgefällig. »Nein«, erwiderte sie hastig, »das nicht! Das nicht!« Aber allein brach sie aus: »Ja, ja, ja! Mistfahren lieber den langen Tag, aber wohlgeschaffen, als so im Schloß, als mit diesem Mund, mit diesen Zähnen, diesen Backen!«
Sie sprach mit der Äbtissin von Frauenchiemsee. Sie hatte ihre jüngere Schwester besucht, die kränkelnde, verkrüppelte Adelheid. Nun saß sie mit der feinen, welken, milden Äbtissin am Ufer der winzigen Insel.
»Meine Mutter war nicht schön«, sagte das Kind, »doch sie war auch nicht häßlich.«
Die alte Dame legte ihr die kleine, leichte Hand auf das kupferfarbene, harte Haar. »Ich will nicht von Gott reden und vom Jenseits«, lächelte sie, »wo nicht die Gestalt gilt. Aber wie rasch verfaltet auch diesseits das glatteste Gesicht! Noch fünfzehn Jahre, noch zwanzig hättest du es. Ich bin heute sehr zufrieden«, schloß sie, »daß ich niemals schön war.«
Die beiden Frauen schauten auf den blassen, weiten See hinaus, matte Sonne schien, eine Möwe schrie.
Das Jahr darauf, unvermittelt, legte sich ihre Stiefmutter Beatrix hin und stand nicht mehr auf. Sie war immer eine schwache Frau gewesen, nun war die Enttäuschung dazugekommen, daß sie ohne Kinder blieb.
Als sie schon die Sterbesakramente empfangen hatte, sagte sie noch ihrem Mann, er solle ja seinen Leibschneider stäupen lassen und mit Schimpf davonjagen.
Er unterschlage gemein viel von den kostbaren Stoffen, die er für des Königs Garderobe benötige. Auch solle sich Heinrich einen neuen Lederbehälter anschaffen für seine schöne Rüstung. Dann empfahl sie ihre Seele Gott und starb.
Nun waren Johann und Margarete die unbestrittenen Erben des Landes in den Bergen; denn niemand ahnte von dem Geheimvertrag zwischen den Habsburgern und den Wittelsbachern. Selbst der Knabe Johann wurde beschwingter durch sein Erbprinzentum. Er sagte sich die Titel vor, die er haben wird: Herzog von Kärnten, Görz, Krain, Graf von Tirol, Schirmvogt der Bistümer Chur, Brixen, Trient, Gurk, Aquileja. Er malte sich die merkwürdigen alten Zeremonien der Thronübernahme in Kärnten aus, die ihm sehr gefielen. Wie da der Fürst in Bauerntracht kommt und einen freien Bauern von dem Stein vertreibt, auf dem dieser sitzt. Wie er, auf dem Stein stehend, das blanke Schwert nach allen Richtungen schwingt. Wie er aus einem Bauernhut einen Trunk frischen Wassers trinkt.
Und der Knabe Johann kam sich sehr wichtig vor.
Margarete, bewegt von dem Tod ihrer Stiefmutter, gelöst durch das Gefühl, nun sichere Erbin des Landes zu sein, fand Chretien de Laferte an ihrem Weg. Sie sprach zu ihm wärmer als sonst, ein erregtes Mädchen.
Sie hätte, wie gern! ein sanftes, menschliches Wort von ihm gehört. Er aber neigte sich zeremoniös, sprach zu ihr gehalten und voll Ehrfurcht als zu seiner Fürstin.
Der gute König Heinrich wurde durch den Tod seiner Gattin noch frömmer. Er aß und trank zwar noch reichlicher, hielt sich auch noch mehr Frauen. Aber er betete auch noch mehr als früher, beichtete viel, war immerfort zerknirscht und machte noch größere Stiftungen als bisher für Klöster und Kirchen.
*
Im Bistum Chur war ein gewisser Peter von Flavon begütert, Lehensmann des Bischofs von Chur. Herr von Flavon fiel in einem der italienischen Feldzüge König Heinrichs in jungen Jahren. Er hinterließ eine Witwe, die anfangs der Dreißig war, und drei Töchter. Es war strittig, ob die hinterlassenen Besitzungen nur in männlicher Linie vererbten oder ob sie Weiberlehen waren. Bischof Johannes von Chur und sein Kapitel gingen daran, die Güter einzuziehen. Frau von Flavon kam hilfesuchend mit ihren drei unmündigen Kindern zu König Heinrich. Kniete vor ihm, weinte. Ihr guter, junger, tapferer Mann! Und in Diensten König Heinrichs war er gefallen. Und nun wollte sie der gewalttätige Bischof von Chur ihres Wittums berauben und sie und die armen Waisen in Not und Elend stoßen. Die drei hübschen, rundlichen, kleinen Töchter, rosig und appetitlich in ihren schwarzen Kleidern, knieten neben ihr, flennten. Der gute König Heinrich war sehr gerührt.
Schrieb dem Bischof von Chur. Trat heftig für Frau von Flavon ein. Der Bischof schrieb kurz und gekränkt zurück. Gab kein Zipfelchen seines Anspruchs auf. Die Witwe, die inzwischen mit ihren Töchtern gastlich auf Schloß Zenoberg aufgenommen war, gefiel dem König Heinrich von Tag zu Tag besser. Es kam zu bösen Streitigkeiten mit dem Bischof, ja zu Fehden und Gewalttaten. Schließlich erreichte der König für Frau von Flavon einen mageren Vergleich.
Inzwischen war die Dame seine erklärte Freundin geworden. Es ging nicht an, sie mit kärglichen Bissen abzuspeisen. Sollten die armen Würmer, deren Vater für ihn gestorben war, als kleine Landedelfräulein heranwachsen? Nein, so knauserig war König Heinrich nicht. Er verlieh ihnen die Herrschaften Taufers und Velturns. Darüber geriet er zwar in Händel mit dem Bischof von Brixen, der diese erledigten Lehen für sich in Anspruch nahm. Aber König Heinrich hielt zäh fest.
Zahlte schließlich dem Bischof Geld heraus; aber die Dame blieb im Besitz der beiden Gerichte.
Sie machte mit ihren drei Töchtern viel Gewese von sich. Sie fühlte sich sicher im Schutz des Königs. Sie war eine hübsche Frau, sehr weiß von Haut, sehr blond von Haar, fest und rundlich. Sie lachte gern und viel, fehlte bei keinem Tanz und Turnier. Auf ihren Schlössern hörte das festliche Gelärm nicht auf. Sie mußte immer zu tun haben, mengte sich in alles, erzählte wichtig belanglose Nebenumstände, warf alles durcheinander. Plötzlich kam sie auf den Einfall, ihren Gatten in der Kapelle ihrer Burg Taufers beizusetzen.
Durch Jahre betrieb sie diese Angelegenheit, reiste schließlich in die Lombardei. Der dort formlos bestattete Tote wurde ausgegraben, die Leiche, wie üblich, in siedendes Wasser geworfen, daß das Fleisch sich von den Knochen löse, die Gebeine nach Taufers gebracht, feierlich unter großem Lamento der Damen von Flavon beigesetzt. Es war aber keineswegs gewiß, ob es auch die Reste des Herrn von Flavon waren.
Die drei Mädchen wuchsen ohne viel Erziehung heran, wild und sehr verwöhnt. Stets balgten sie sich untereinander, wegen jeder Kleinigkeit gab es, häufig bösartigen, Zank. Sooft der gute König kam, mußte er schlichten, besänftigen. Auch lehnten sie sich gegen die Mutter auf, standen oft zusammen gegen sie. Die Mutter klagte dem König über die Töchter vor, die über die Mutter. Ebenso sinnlos waren sie dann alle wieder versöhnt, betonten lärmend ihr trauliches Familienleben. Die Kinder tollten in ihren weiten Besitzungen herum, störten die Amtleute, quälten die Bauern, plackten Mensch und Tier.
Sie waren alle drei sehr hübsch, weiß, glatt, rosig, fleischig, blond. Die schönste war die mittlere, Agnes von Flavon. Größer als die Schwestern, die Haare dunkler, leuchtender, das Gesicht länger, nicht so rund, auch die Nase nicht so puppig klein und die Lippen kühner. Alle drei waren die Schwestern sehr eitel.
Agnes, so jung sie war, gute zwei Jahre älter als die Prinzessin Margarete, galt unbestritten als die schönste Dame zwischen Etsch und Inn. Bei allen Turnieren ritt man für sie; sie erteilte die Preise. Rühmte man die welschen Damen, so riefen die deutschen Herren wie aus einem Mund: Agnes von Flavon, und die Italiener verstummten. In Trient, als ihre Mutter sie in einer Lehensangelegenheit mit an den Hof des Bischofs nahm, stand das Volk vor dem Palast, wartete, rief begeistert: »Ein Engel ist herabgestiegen! Segne uns, schöner Engel!«
Agnes war sich ihrer Schönheit sehr bewußt. Es war ihr selbstverständlich, daß der König, die Ritter, das Volk ihr jeden Wunsch erfüllten. Sie betrachtete sich als die Herrin von Tirol.
König Heinrich, in einer Art gutmütigen Taktes, vermied es, die schönen Schwestern mit seiner Tochter Margarete zusammenzubringen. Manchmal freilich ließ es sich nicht umgehen. Agnes behandelte Margarete bei aller äußeren Wahrung der Form mit einer gewissen spöttischen Herablassung, die die Prinzessin bis aufs Blut reizte. Einmal, als die beiden Mädchen allein waren und nur Chretien de Laferte bei ihnen und als fast eine halbe Stunde lang Stichelreden zwischen den beiden Mädchen hin und her gegangen waren, bat Agnes, sich verabschiedend: »Begleiten Sie mich, Herr Chretien!«
»Herr Chretien bleibt!« sagte Margarete, die Stimme ungewohnt trocken und hart. Dann aber, als Agnes achselzuckend mit einem bösartigen, spöttischen Lächeln gegangen war: »Gehen Sie, Chretien! Gehen Sie!« Ratlos, bestürzt, folgte der junge Mensch dem Fräulein von Flavon. Die Prinzessin, allein, verzerrt, atmete, fauchte.
Mit Herrn von Schenna saß sie über einer bebilderten Vershandschrift. Blanscheflur sah aus wie Agnes.
Herr von Schenna und die Prinzessin schauten auf das bunte Bild. »Ja«, sagte Herr von Schenna nach einer Weile, »sie sieht aus wie Agnes.«
»Sie ist wunderschön«, sagte Margarete mit einer gepreßten, seltsam erloschenen Stimme.
»Aber Fräulein von Flavon hat viel dümmere Augen«, sagte Herr von Schenna.
»Lesen wir weiter!« sagte Margarete, und ihre Stimme klang dunkel, voll und warm wie vorher.
König Heinrich alterte sehr früh, verfiel zusehends.
Seine Hände zitterten, oft verlor er die Sprache, lallte.
Wilde, atemlose Furcht vor Strafe im Jenseits befiel ihn. Er hatte so oft an Kirchenportalen, auf Gemälden das Jüngste Gericht dargestellt gesehen, den Höllenrachen, scheußliche Teufel aus dem Schwefelpfuhl grinsend. Dies alles rückte ihm jetzt in schreckhafte Nähe.
Er verdoppelte seine frommen Schenkungen, bedachte Marienberg, Stams, Rotenbuch, Benediktbeuern mit reichen Stiftungen. Aber dies vermochte ihn sowenig zu beruhigen wie die tröstlichen Versicherungen des Abtes von Viktring. Um sich zu kasteien, ließ er in der Kapelle von Zenoberg eine Bahre aufstellen und legte sich eine ganze lange Winternacht hinein. Da kamen die Menschen, die er hatte berauben lassen, foltern, umbringen; er war ein gutmütiger Herr, aber es waren doch sehr viele. Da kamen Frauen, mit denen er Unzucht getrieben hatte; sie wiesen ihm lächelnde Gesichter, aber drehten sie sich um, so war ihr Rücken tief in die Eingeweide hinein zerfressen von ekelm, eitrigem Gewürm. Die ganze Kapelle war voll von scheußlichen Teufeln, die nach ihm krallten, ihn hetzten. Er schrie. Aber er hatte die Kapelle versperren lassen und befohlen, daß niemand in ihrer Nähe sei, auf daß er müsse bis zur Frühmesse allein bleiben mit seinen Sünden und seiner Reue. Schließlich ertrug er es nicht mehr. Er kletterte – die Angst machte ihn geschickt – die Wand hinauf, sprang durch das Fenster.
Verkroch sich zähneklappernd, kalt schwitzend in sein Bett.
Von da an siechte er hin. Er sprach oft für sich allein, hustete hohl und hilflos. Margarete war viel um ihn, doch ohne große Teilnahme. Nun wird er also sterben.
Er kann nicht klagen, er hat sein Leben weidlich genützt.
Sehr gerne hatte er seine Kinder um sich, besonders die ganz kleinen. Er schlurfte herum zwischen dem winzigen, lallenden, auf krummen Beinchen trippelnden, purzelnden Volk, schneuzte dort eine kleine Rotznase, sänftigte hier einen sinn-und atemlos schreienden, rutschenden, dicken, rosigen Balg. Er hob die Kinder hoch, setzte sich ganz nahe zu ihnen, erzählte den ernsthaft und verständnislos Lauschenden mit vielem Seufzen von Geld, von Kirchenbuße, von hoher Politik.
April kam. Das Land stäubte unter einem azurnen Himmel von Mandel-und Pfirsichblüten. Da spürte er, daß es aus war. Er ließ sich in die Kapelle des heiligen Pankratius bringen. Eine milde, blaue Maria lächelte ihm zu. Das bunte, bemalte Kirchenfenster leuchtete freundlich in der starken Sonne. Kleine Kinder standen großäugig um ihn herum und der sanfte, betuliche Abt von Viktring. So ereilte ihn ein letzter Blutsturz, erstickte ihn.
Der Leichnam wurde ausgeweidet, einbalsamiert, Herz und Eingeweide sollten auf Schloß Tirol, die übrigen Reste sollten später unter größten Feierlichkeiten in der Fürstengruft des Klosters Sankt Johannis zu Stams bestattet werden.
Der Bischof von Brixen, der auf die Nachricht vom Ableben König Heinrichs sich sofort nach Schloß Tirol aufmachte, noch bei Nacht reitend, hörte auf der Straße das Getrappel von vielen kleinen Schritten. Er fragte seine Leute, ob sie nichts sähen. Die hörten wohl auch das Geräusch, aber sie gewahrten nichts. Wie nun der Bischof schärfer durch die Nacht blickte, sah er, daß es die Zwerge waren, die eilig in dickem Zug nach Norden wanderten. Sie hatten aber ihre Edelsteine an den Fingern, so daß nur er sie sehen konnte. Er hielt einen an und fragte. Der erwiderte, nun der gute König Heinrich tot sei, fühlten sie sich nicht mehr sicher und müßten das Land verlassen.
Noch am gleichen Tag ritten die Kuriere, die die Todesnachricht ins Land trugen. Einer über die Berge in die welsche Ebene nach Verona. Da freuten sich die Brüder della Scala. Nun wird es Verwirrung geben in den Bergen. Nun wird man wieder die Hand ausstrecken können nach Norden, sich ein Stück Land erraffen. Einer ritt nach Wien. Da saß der lahme Herzog Albrecht, immer fröstelnd, am Kamin, schlecht rasiert, mager, kränkelnd. Er horchte hoch auf, beschickte seinen Bruder, berief Sekretäre, diktierte, vergaß zu essen über Plänen und Arbeit. Einer ritt nach München zum Kaiser Ludwig. Der schaute ihn an aus seinen großen, treuherzigen, blauen Augen über der langen Nase, und während er in umständlichen, biederen Worten seine Trauer bekundete über den Hingang des vielgeliebten Oheims, bedachte er schwerfällig die Vorwände, unter denen er am bequemsten seine kleine Kusine um ihre Länder bringen könnte.
Margarete beschaute sich im Spiegel. In die Elfenbeinkapsel, in die das Glas eingelassen war, schnitt sich ein Relief, auf dem die Burg der Frau Minne erobert wurde. Nun ja, so wie die Frau Minne war sie, Margarete, eben nicht von Antlitz und Figur. Dafür war sie Herzogin von Kärnten und Gräfin von Tirol. So also schaute eine Herzogin aus. Sie prüfte sich mit bitterem Scherz. Laß sehen! Augen und Stirn gingen an. Das schlimmste war der Mund, dies überworfene Affenmaul. Nun, dafür hatte sie Kärnten. Dann waren die schlaffen Hängebacken ein arges Übel. Aber wurde es nicht aufgewogen durch die Grafschaft Tirol? Und der graue, fleckige Teint? Legt Trient darauf, Brixen, Chur, Friaul. Ist er dann nicht glatt und rein?
Johann, ihr Gemahl, war geschwellt. Nun war er Fürst und Herr. Er wurde geradezu liebenswürdig in seiner gehobenen Laune. Margarete betrachtete ihn.
Eigentlich war er ein hübscher Junge: das lange, herrische Gesicht, das schöne Haar. Auch seine Augen schienen ihr heute freier, kühner. Er dachte: Schön ist sie nicht. Aber die Länder sind schön, die sie mir zubringt. Er sagte zu ihr: »Na? Gretl?« und küßte sie herzhaft auf ihren häßlichen Mund. Er tat ein übriges und sagte, jetzt müsse sie auch einmal auf die Falkenbeize mit ihm gehen.
Darin saßen die beiden Kinder zusammen, sehr ernsthaft, und berieten ihre ersten Regierungsmaßnahmen. Die Lage war nicht einfach. Die Feudalbarone waren schwierig, würden gewiß die Lage ausbeuten wollen. Der Knabe Johann setzte sein hochmütiges Gesicht auf. Er wird sie schon kleinkriegen. Er ist auch wilder Pferde schon Herr geworden. Vor allem muß man seinen Vater beschicken, den König Johann; der ist wohl noch in Paris, beim Turnier, bei seinem Schwager, dem König von Frankreich. Dann müssen Boten an den Kaiser, an die Herzöge von Österreich.
Die Kinder befahlen den Abt von Viktring zu sich, betrauten ihn mit der Botschaft, gravitätisch und doch mit gespielter Leichtigkeit. Sie setzten ihre Namen unter die Vollmacht: Johann von Gottes Gnaden Graf von Tirol, Margareta, Dei gratia Carinthiae dux, Tyrolis et Goritiae comes et ecclesiarum Aquilensis Tridentinae et Brixensis advocata.
Doch als der Abt von Viktring diesen Brief übergab, hatten seine Auftraggeber die meisten dieser Länder schon verloren. In Linz saß der Kaiser mit dem lahmen Habsburger, beriet die Ausführung jenes Vertrags, der das Land in den Bergen zwischen Habsburg und Wittelsbach teilte. Ungeschlacht, wuchtig saß der Bayer, wollte alles für sich haben, von keinem kleinsten Dorf die Finger lösen. Zäh und hartnäckig zerrte der lahme Herzog, wählte scharfe, bittere Worte, gab nichts preis. Sie saßen, schauten, die Gedanken nur bei ihren Karten und Registern, auf die hochgehende Donau, Regen rann, die beiden Männer lagen über dem fetten Besitz, rissen hin und her. Hart feilschend kamen sie endlich überein: Kärnten, Krain, Südtirol an den Österreicher, Nordtirol an den Bayern. Als sie so weit waren, kam der Abt von Viktring mit den Briefen und Empfehlungen der Kinder. Sehr höflich empfingen ihn die beiden Fürsten. Lasen aufmerksam die Briefe. Mit undurchdringlichem Spott erwiderte zunächst der Österreicher, wie sehr der Tod seines Oheims, des edeln und hocherlauchten Fürsten, Seniors ihres ganzen Geschlechts und Vaters ihrer aller, ihm ans Herz gehe. Wie tief er seine kleine Base und ihren jugendlichen Mann bedaure. Krain gehöre nun ihm. Kärnten habe ihm die Freigebigkeit des Kaisers verliehen, Truppen seien schon unterwegs, das Land für ihn zu besetzen. Wenn er sich aber sonstwie seiner kleinen Base gefällig und behilflich erweisen könne, wolle er es gerne tun. Ähnlich sprach der Kaiser selbst, den Abt mit seinen großen blauen Augen treuherzig und unverwandt anstarrend. Nur sprach er feierlicher, tönender, weil er eben der Kaiser war. Leider seien die Kinder mit ihren Bitten zu spät gekommen; er habe mit seinen lieben Oheimen von Österreich schon alles abgemacht. Im übrigen wolle er sich die Sache in Gnaden angelegen sein lassen.
Die beiden Kinder auf Schloß Tirol, sowie sie sahen, wie schlecht ihre Angelegenheit stand, schickten Eilboten auf Eilboten nach Paris zu ihrem Vater und Vormund, dem König Johann. Aber der war im Turnier übel verwundet worden. Er lag zerschlagen und zerschunden, des Augenlichtes fast beraubt, in Verbänden und Umschlägen und konnte nach Tirol nur den matten Trost schicken, die Kinder sollten guten Mutes sein; sowie seine Kräfte es erlaubten, werde er selbst kommen und sie und ihre Länder schützen. Es war ein besonderer Unstern, daß er hilflos im Bett liegen mußte, während der Kaiser und Habsburg die reichen Länder, die er sich durch so langwierige und geschickte Diplomatie gesichert hatte, unter sich verteilten. Allein Spieler und Fatalist, der er war, ging ihm auch dies Unglück nicht sehr tief. Er war an jähen Wechsel gewohnt, riß in aller Ohnmacht und Erbärmlichkeit leichtfertige Witze über die Frauen und die Länder, die ihm auf diese Art entgingen, rechnete mit dem Gleichmut des Spielers auf eine glückliche Wendung.
Unterdes wurde Kärnten und Krain ohne Widerstand von den Habsburgern besetzt. Die Städte huldigten ihnen, die Lehensurkunde des Kaisers wurde überall feierlich verlesen, die Feudalbarone und Beamten stellten sich auf den Boden der Tatsachen, ließen sich auf die neuen Herren vereidigen. Die führenden Herren, an ihrer Spitze der gravitätische Konrad von Auffenstein, der Statthalter des verstorbenen Königs, von ihm mit reichstem Gut und allem Vertrauen bedacht, spielten dabei eine sehr zwielichtige Rolle. Die Bevölkerung wurde mit dem Verrat an den beiden Kindern dadurch ausgesöhnt, daß sich in Vertretung seines lahmen Bruders der Herzog Otto von Österreich den alten, umständlichen, patriarchalischen Bräuchen unterzog, die in Kärnten bei der Inthronisation üblich waren und auf die sich der kleine Prinz Johann so gefreut hatte.
Er zog also Bauerntracht an, hieß den dazu bestellten Bauern von dem Stein aufstehen, trank Wasser aus einem Bauernhut und übte mehr dergleichen überkommene Zeremonien. Der Bevölkerung gefiel dieses Festhalten an den väterlichen Bräuchen außerordentlich, die Leute waren gerührt, bekannten sich überzeugt zu dem neuen Fürsten. Herzog Otto war übrigens ein feiner, modischer junger Herr; er kam sich in der Bauerntracht sehr komisch vor, er und seine Herren machten noch lange Witze darüber. Das umständliche Zeremoniell war trotz allem da und dort nicht eingehalten worden, es gab Leute, die darüber murrten; auf Schloß Tirol bemerkte der Herzog Johann mit grimmiger Befriedigung, daß ihm das nicht passiert wäre.
Allein wie immer, Kärnten und Krain, die Hälfte ihrer Länder, waren vorläufig für Margarete und ihren Gemahl verloren.
Margarete war nie eine pathetische Natur gewesen.
Sie hatte nicht erwartet, daß Kärnten aus Treue zu dem angestammten Herrscherhaus sich nun flammend vor sie hinstellen und schützen werde. Aber die schnöde Art, wie man mit der größten Selbstverständlichkeit das Recht preisgab und sich auf die Seite der Macht schlug, in aller Hast noch kleine Vorteile für sich erschachernd, füllte sie dennoch an mit Ekel und Empörung. Sie hatte keinen Einwand, als Herzog Johann, schäumend, mit überschlagender Stimme, fußstampfend, Order gab, Burg Auffenstein bei Matrei, das Stammschloß des treulosen Kärntner Gouverneurs, zu zerstören. Der kluge Herr von Schenna meinte freilich, es wäre gescheiter gewesen, es einfach zu beschlagnahmen.
Blieb Kärnten verloren, so entwickelten sich in Tirol die Dinge für die Kinder sehr günstig. Die tirolischen Barone hatten von dem Luxemburger weitgehende Versicherungen, daß er ihnen in die maßgebenden Ämter keine fremden Vögte hineinsetzte; jedenfalls war mit den beiden Kindern leichter auszukommen als mit dem in Gelddingen durchaus nicht gemütlichen Wittelsbacher. Die Tiroler Herren blinzelten also einander zu, verständigten sich, beschlossen, in bewährter tirolischer Treue zu ihrer angestammten Herrin zu stehen, rüsteten bewaffneten Widerstand, schürten die gute Gesinnung im Land.
So fand Herzog Johanns älterer Bruder, Markgraf Karl, den König Johann vorläufig in seiner Vertretung nach Tirol schickte, die Grafschaft in gutem Stand zur Verteidigung, und die drei Kinder konnten in einem kurzen Krieg, der äußerst sachlich, gründlich und grausam geführt wurde, Tirol halten. Der kleine Herzog Johann zeigte sich übrigens in diesem Krieg von einer persönlichen, verbissenen, krampfhaften Tapferkeit, die nicht ohne Eindruck auf Margarete blieb.
Mittlerweile konnte auch König Johann wieder vom Krankenlager aufstehen. Seine Augen freilich waren nicht mehr zu retten. Er sah von der Welt nur mehr einen schwachen Schimmer und wußte, daß er bald gar nichts mehr werde sehen können. Dies machte ihn etwas müde, geneigt zu Philosophie und Pazifismus.
Auch der Habsburger, der lahme Albrecht, war des Kampfes müde; er sah, daß außer Kärnten vorläufig für ihn nichts zu holen sei und daß er, führe er den Krieg weiter, sich lediglich für den Kaiser schlage, der sich, ging es ans Zahlen, diesmal wie stets einsilbig, hochmütig und schofel hinter seine Kaiserwürde zurückzog. Albrecht kam unter diesen Umständen mit Johann bald überein, erkannte die Luxemburger als rechtmäßige Herren von Tirol an, wogegen Johann sich mit der Habsburger Herrschaft in Kärnten einverstanden erklärte; natürlich verlangte er noch einen finanziellen Ersatz: zehntausend Veroneser Silbermark.
Da er gerade im Verträgeschließen war, schlug er auch dem Kaiser einen Handel vor: Brandenburg gegen Tirol. Ludwig, der mit Leidenschaft solche Geschäfte betrieb, war sogleich dabei, und die beiden Fürsten erwogen stark angeregt die Einzelheiten des Projekts. Da aber schlug die Treue der Tiroler zu ihrer Fürstin in lohen Flammen empor – die Feudalbarone wären ja durch die Herrschaft der Wittelsbacher finanziell schwer beeinträchtigt gewesen; es kam zu den heftigsten Resolutionen, und die Volksbewegung war so stark, daß König Johann feierlich bezeugen mußte, er habe nie an eine derartige Vertauschung gedacht. Ja, sein Sohn und Statthalter, der Markgraf Karl, hielt die Stimmung für so bedenklich, daß er in den Vater drang, sich mit den höchsten Eiden zu verpflichten, Tirol niemals zu veräußern. Was dieser achselzuckend und liebenswürdig lächelnd tat.
Das junge Ehepaar dachte übrigens nicht daran, die Abmachungen Johanns über Kärnten zu vollziehen.
Margarete erging sich in den heftigsten Worten, wie ihr Vormund ihre Interessen schnöde verschachere; sie und ihr junger Gemahl hielten ihre Ansprüche auf Kärnten und Krain voll aufrecht. Der junge Herzog Johann fand hierbei willkommenen Anlaß zur Entfaltung einer großen, pathetischen Zeremonie. Er sammelte den Adel Tirols um sich und ließ die Herren, malerisch angeordnet, die Schwerter gezogen, auf das Kreuz schwören, nicht zu ruhen und zu rasten, bis Kärnten wieder in seinem und Margaretens Besitz sei.
Der blinde König Johann fand, sein Sohn sei ein kleiner Esel. Denn die einzige Folge dieses großen Auftritts war, daß Österreich die zehntausend Mark Veroneser Silbers nicht zahlte. Tatsächlich blieben die Österreicher im Besitz Kärntens, die feierlichen Tiroler Herren steckten trotz des Schwurs ihre Schwerter wieder in die Scheide, und durch die Räume König Johanns glitt schattenhaft, unscheinbar und mit vielen Verneigungen Messer Artese aus Florenz.
*
Der Herzog Johann wurde reifer, männlicher. Sein Gesicht blieb trotzig, hinterhältig, verbissen; aber sein Körper verlor das Stakige, Überlang-Magere, ward fest, stattlich, nicht sehr gelenk, doch sicher. Er war ein guter Jäger, verstand sich ausgezeichnet auf die Falkenbeize, bewährte auch im Krieg persönliche Tapferkeit. Margarete gefiel er. Es gab schönere Männer, klügere, glänzendere. Aber er hatte sich bei den schwierigen Kämpfen um den Besitz des Landes nicht schlecht gehalten, war kein Knabe mehr, war sehr jung zum Mann geworden, war ihr Mann. Er vermied sie. Je nun, er war wohl überhaupt scheu; gesprächig, vertraulich war er nur mit seinen Jägern; man mußte um ihn werben. Sie stellte sich in seinen Weg. Es nutzte nichts; er ging ihr, abweisend, vorbei.
Sie füllte ihren Tag mit tausend Beschäftigungen, Putz, Repräsentation, Politik, Studien. Aber ihre Gedanken hakten sich immer wieder an ihn. Warum konnte sie nicht zu ihm gelangen? Ihre Nächte waren voll von ihm. Aufdringlich fast suchte sie seine Gesellschaft. Fand alle möglichen Vorwände, sowie sie ihn nur in der Nähe wußte, bei ihm einzudringen. Aber er war immer eilig, bog mürrisch jedem vertraulichen Wort aus. Sie suchte nie den Grund in seinem schlechten Willen, war ihm für keinen Augenblick böse. Suchte alle Schuld in sich, in ihrer Ungeschicklichkeit.
Sie mußte sich anvertrauen, sich Rats holen. Aber bei wem? Ihre Frauen waren dürr und albern, der gutmütige Abt von Viktring würde mit erbaulichen Sprüchen und Zitaten kommen. Nach einer schlaflosen Nacht sprach sie mit Herrn von Schenna.
Der lange Herr saß in schlechter Haltung vor ihr, ein Bein über das andere geschlagen, das etwas welke Gesicht in die große Hand gestützt. Durch die feinen Pfeiler der Loggia sah man weit in die Berge hinein über das starkfarbene, üppige, besonnte Land. An den Wänden der Loggia schritt sehr bunt und überschlank Tristan. Isolde stand, die eine Hand gehoben, hoch und abweisend. Zu Füßen der Herzogin Margarete spreizte sich der Hauspfau. Margarete, in einem malvenfarbenen Kleid, das kupferne Haar schillernd in dem hellen Tag, aber alle Häßlichkeit auch des Gesichts in dem klaren Licht grob und mitleidlos enthüllt, sprach stockend, in halben Worten. Sie hatte sich zurechtgelegt, was sie sagen wollte; dennoch kam jetzt ihre sonst so gewandte Rede nicht recht vorwärts, und sie sprach in Andeutungen. Schließlich war Johann doch ihr Mann. Irgend jemand müsse ihm das doch sagen. Sie selber, das gehe doch nicht gut.
Sie sah Herrn von Schenna an. Aber der saß ganz still, blinzelte in der Sonne, schwieg. Mutloser noch fuhr sie fort. Es war früher manchmal dagewesen, daß Fürsten, die als Kinder waren verheiratet worden, später feierlich Beilager hielten. Johann hänge so an Zeremonien. Ob Herr von Schenna es für angängig halte, daß sie Johann ein solches Fest vorschlage.
Herr von Schenna ließ eine Weile verstreichen, ehe er antwortete. In die besonnte Stille hinein schrie der Pfau, von unten her aus den tieferen Reben, sehr fern, klang das Geschrei spielender Kinder. Herr von Schenna wußte, daß der junge Herzog anderen Frauen gegenüber durchaus nicht so scheu und blöde war wie Margareten. Behutsam, langsam, merkwürdig sacht hub er endlich an. Wie er den jungen, eigenwilligen, herrschsüchtigen Fürsten kenne, glaube er nicht, daß er einen Gedanken ausführen werde, den ein anderer ihm eingebe. Vielleicht daß sich einmal Gelegenheit biete, ihm den Gedanken so unmerklich beizubringen, daß er ihn für einen eigenen halte. Aber man müsse sehr, sehr vorsichtig sein. Und abwarten.
Dann, froh, abbiegen zu können, wies er auf einen Herrn, der langsam in der prallen Sonne den Weg heraufritt: »Da kommt Berchtold.«
Die Herzogin sehr ehrerbietig grüßend, kam Berchtold von Gufidaun heran. Der stattliche Herr, bräunlich kühnes Gesicht, blaue Augen merkwürdig zu dem dunkeln Haar, war Jakob von Schennas bester Freund.
Herr von Schenna pflegte zu sagen: »Er ist zweimal so dumm wie ich, aber zehnmal so anständig.« Margarete mochte den festen, biederen, sehr ergebenen Mann gern leiden.
Herr von Schenna ließ Wein und Früchte bringen.
Es ging gegen Abend, man hielt ein geruhsames Gespräch. In eine Stille hinein fragte plötzlich Margarete: »Sagen Sie, Herr von Gufidaun, Sie kommen doch mit vielen Leuten zusammen, mit Aristokraten, Stadtbürgern, Bauern: wie denkt eigentlich das Volk über mich?« Der ehrliche Mann, überrumpelt, drückte unbehaglich herum, das Volk liebe und ehre sie geziemend. Schwitzte unter dem klaren, ernsten Blick des Mädchens. Schenna kam dem Verlegenen zu Hilfe.
Überall wisse man, wie klug und gewandt sie sei und daß sie das Land vor Habsburg und Wittelsbach gerettet habe.
Margarete fühlte sehr wohl, daß die Vorsicht, die Herr von Schenna ihr riet, sehr am Platz war, mehr, als seine Höflichkeit ihr sagte. Aber sie wollte sich das nicht eingestehen. Sie konnte nun nicht länger untätig bleiben und zusehen, wie Johann an ihr vorbeiging.
Gut, ihr Gesicht war häßlich, ihre Figur breit, unedel, ohne Reiz. Aber sie war gesund, sie hatte Blut, sie war bereit, tüchtig und berechtigt, Fürstenkinder zu empfangen, zu gebären. Die Männer waren blöde, sie wollten gestoßen sein; sicher war es so. Der Junge kam auf nichts, stieß man ihn nicht an.
Sie fragte ihn, ihre Erregung mühsam bändigend, so beiläufig wie möglich, wann er eigentlich und wo die Feier ihres Beilagers abzuhalten für ratsam halte. Das Kloster Wilten, die Stadt Innsbruck warte darauf. Er schaute sie auf und ab, sein Gesicht verzog sich wütend, spöttisch, gehässig, die Augen wurden ganz klein. Eine Feier auch noch? Er habe sie doch geheiratet. Das sei Feier genug gewesen. Er denke nicht daran, ihr Beilager gar noch feierlich zu begehen. Sie möge gefälligst warten, ihn in Frieden lassen. Er schrie. Die Stimme schlug ihm um. Er lachte knurrend, höhnisch, bösartig. Seine Augen glitten von ihrem harten, kupfernen Haar über den kurzen, plumpen Leib bis zu den Füßen. Er sah aus wie ein tückischer kleiner Affe. Margarete schluckte, wandte sich, ging.
Allein, raste sie, schäumte. Wer war er denn? Wie ein bissiger, häßlicher Köter sah er aus. Wer hätte ihn angeschaut, wäre er nicht Herzog? Und sie hat ihn dazu gemacht. Und muß sich nun – wer hilft ihr? – diese frechste Verhöhnung gefallen lassen. Ist sie darum Herzogin? Wann je war eine Frau so verschmäht und gekränkt wie sie? Sie zerkratzte sich die Brust, ihr armes, häßliches Gesicht. Schäumte, knirschte, knurrte, stöhnte, daß ihre Frauen bestürzt hereinkamen.
Andern Tages war sie eisig umkrustet. Warf sich auf die Politik. Beriet mit Volkmar von Burgstall, Jakob von Schenna, Berchtold von Gufidaun. Markgraf Karl, Johanns älterer Bruder, war auf Reisen am Rhein. Eigentlicher Regent des Landes war, den Herzog Johann klug lenkend, der Bischof Nikolaus von Trient, ehedem Kanzler des Markgrafen in Brünn, Domherr von Olmütz, ein energischer, rasch denkender Herr, den Luxemburgern unbedingt ergeben. Jetzt mischte sich Margarete in jede kleinste Angelegenheit, zwang den Bischof, verbindlich in der Form, aber unnachgiebig, sie an allen Regierungsgeschäften teilnehmen zu lassen. Da sie die eingesessenen Feudalbarone, die dem Luxemburger Prälaten nicht zu großen Einfluß einräumen wollten, auf ihrer Seite hatte, fügte sich der geschmeidige Bischof, Schritt für Schritt weichend.
Den Herzog Johann behandelte sie mit eisiger Höflichkeit, nannte ihn Herr Herzog und mit allen Titeln.
Niemals mehr war von Persönlichem zwischen ihnen die Rede. In allen politischen Dingen wurde er beigezogen, aber sie wußte ihn bei aller umständlichen Höflichkeit immer wieder vor den tirolischen Herren als dummen, launischen, kleinen Jungen hinzustellen. Er verzerrte sich vor Zorn; aber wenn er losbrechen wollte, fand er, denn sie hatte sehr klug jede Form gewahrt, erstaunte, mißbilligende Gesichter. Häufig auch traf sie wichtige Maßnahmen selbständig und holte im letzten Augenblick erst seine Zustimmung ein. Sehr geschickt verstand sie seine Einwilligung zu einer leeren Formsache herabzudrücken, ohne daß er, bis aufs Blut gereizt und verärgert, der erstaunt und unschuldig sich Habenden solche Nichtachtung nachweisen konnte.
Die Finanzen des Landes waren besser als unter König Heinrich, aber noch keineswegs gesund. Sie verlangten ein ewiges, vorsichtiges Lavieren und viel Hin und Her. Herzog Johann, der anstrengenden Kleinarbeit müde, berief den Alleshelfer, den er von seinem Vater her kannte, Messer Artese aus Florenz. Unscheinbar, schattenhaft, ungeheuer dienstwillig war der mächtige Bankier mit einemmal auf Schloß Tirol.
Selbstverständlich und mit tausend Freuden wird er aushelfen. Er verlangte dafür nur einen ganz, ganz winzigen Gegendienst: die Verpfändung der eben erschlossenen Silberbergwerke.
Herzog Johann war sofort dabei. Margarete, in kluger Berechnung, widersprach nur flüchtig und ohne Nachdruck, ließ ihn ganz sich in den Plan verstricken.
Erst als der Plan in allen Einzelheiten ausgearbeitet war, protestierte sie unvermittelt mit größter Entschiedenheit, verweigerte ihre Unterschrift. Johann schwoll an, seine Adern wurden dicke Schlangen. »Der Welsche kriegt die Silberrechte!« gellte er.
Margarete, bebend vor Triumph: »Er kriegt sie nicht!«
Der Herzog sah rot. Was? Er hat dem Bankier die Silberrechte versprochen und soll es nun nicht halten können? Bloß weil die Hexe, die widerwärtige, scheusälige, die Vettel, nicht mag? »Er kriegt sie! Er kriegt sie!« und stürzte sich auf sie, schlug sie ins Gesicht, verbiß sich in sie.
Sie, selig, weil sie ihn so tief traf, jubelte, ihre volle Stimme in seine japsende: »Er kriegt sie nicht! Nie kriegt er sie! Nie!«
Keuchend, ohnmächtig sich verzehrend, ließ er von ihr ab.
Margarete schickte Eilboten an den Markgrafen Karl. Mißmutig kam der aus wichtigen Geschäften zurück nach Tirol, als Schiedsrichter. Es war klar, daß Margarete recht hatte; selbstverständlich konnte man die Silberbergwerke dem Florentiner nicht preisgeben.
Margarete lenkte klug ein, sparte ihrem Gemahl die offene Niederlage. Aber als sie allein waren, schalt der ältere Bruder den Herzog, daß dem das Mark in den Knochen sich empörte vor Wut.
Der nüchterne, sachliche Markgraf konnte nicht umhin, die Staatsklugheit seiner jungen Schwägerin anzuerkennen. Von Böhmen und Luxemburg aus verbreitete sich der Ruf ihrer diplomatischen Überlegenheit an den europäischen Höfen. Wohl verhandelte man offiziell mit dem Herzog Johann; aber in allen Staatskanzleien wußte man, daß in Wahrheit allein die häßliche junge Herzogin das Land in den Bergen regierte.
*
Bald nach dem Tod des Königs Heinrich starb auch sehr plötzlich Frau von Flavon, Herrin von Taufers und Velturns. Bei einem Spaziergang mit ihrer jüngsten Tochter, als sie unter Jauchzen und Geschrei Alpenblumen pflückte, stürzte die hübsche, rundliche Dame zu Tod. Die Töchter bestatteten sie unter großer Anteilnahme sehr prunkvoll neben den etwas zweifelhaften Gebeinen, die sie als die Peters von Flavon aus Italien zurückgebracht hatten. Die drei hübschen Fräulein waren in recht bedenklicher Lage. Jetzt, nachdem ihr Protektor, der gute König Heinrich, tot war, erhob der Bischof von Chur seine alten Ansprüche auf ihre westlichen Besitzungen, der Bischof von Brixen forderte mit vielem Grund die Schlösser und Gerichte Taufers und Velturns zurück.
Die drei jungen Damen, blond, lieblich und hilflos, verhandelten hin und her mit den Finanzräten der Bischöfe. Es fanden sich viele, die sich ihrer annahmen; aber gegen die guten, berechtigten Ansprüche der mächtigen Bistümer war schwer aufzukommen.
Schließlich gelangte die Sache als an die letzte Instanz an den Hof des Herzogs.
Agnes von Flavon erschien auf Schloß Tirol, tat einen Kniefall vor dem jungen Herzog. Der stand knabenhaft und sehr wichtig vor der Knienden, in dem langen, schmalen Gesicht die Lippen ernsthaft zusammengepreßt. Es streichelte seine Herrschgier, wie das zarte Geschöpf, leicht und schön und wehend unter dem schwarzen Gewand, so ganz verströmend und ergeben vor ihm lag, aus tiefen, blauen Augen fromm und bittend zu ihm aufblickte. So gehörte es sich. So hatte es Gott bestimmt, daß es sei. Mochte die andere, die Häßliche, gegen ihn anbellen. Die da, die Zarte, Liebliche, schönste Frau des Landes, lag vor ihm auf Knien, sah fromm, hingegeben, voll Vertrauen zu ihm auf. Er war sehr gnädig zu ihr.
Agnes machte auch der Herzogin ihre Aufwartung.
Margarete widerstand tapfer der Versuchung, über die Schöne zu triumphieren. War huldvoll. Kondolierte in warmen Worten zum Tod der Frau von Flavon. Ihr Vater, König Heinrich, habe ja immer der Familie besonders wohlgewollt, fügte sie undurchdringlich hinzu.
Ja, und es sei sehr traurig, daß die Rechtslage, soviel sie höre, so ungünstig sei für die Fräulein. Sie persönlich sei natürlich jederzeit erbötig, aus ihrer Privatschatulle zu helfen.
Agnes hatte sich vorgenommen, Margarete nicht zu reizen. Aber vor diesem undurchsichtigen, doppelt empfindlichen Hohn ging sie durch. Was? Ein Mädchen mit so einem Gesicht und so einem Maul wagte, gegen sie zu sticheln? Und wenn jene die Kaiserin von Rom wäre und sie selber leibeigen, hätte sie dagegen aufbegehrt. Sie schaute sie lange und abschätzig an.
Sagte dann, so gar ungünstig scheine es um ihre Sache doch nicht zu stehen. Der Herr Herzog wenigstens habe sich sehr gnädig und tröstlich zu ihr geäußert. Etwas kahl schloß Margarete: nun ja, man werde das Urteil der sachverständigen Herren hören und die Angelegenheit in gnädige Erwägung ziehen.
Bevor Agnes das Schloß verließ, traf sie noch Chretien de Laferte, der ihr in gesetzten Worten kondolierte. Agnes hörte ihn ernst an und erwiderte ihm würdevoll. Er bat, sie auf der Rückreise begleiten zu dürfen. Sie war auch da geziemend melancholisch, unterbrach aber gelegentlich ihre Trauerwürde durch ein spitzbübisch kokettes Scherzwort, den jungen Herrn durch solchen Wechsel tief verwirrend.
Chretiens Stellung am Tiroler Hof war nicht angenehm. Solange der Prinz Johann noch Knabe war, hatte er als ergebener, dienstwilliger Kamerad, der die vielen Verstöße des schwierigen kleinen Prinzen gegen höfische Zucht und Sitte unmerklich besserte und einrenkte, seinen klar umgrenzten Bezirk gehabt. König Johann war überzeugt, man könne keinen taktvolleren Adjutanten für seinen ungezogenen Sohn finden als den hübschen, schlanken, ritterlichen, formvollen und doch so bescheidenen Jungen. Auch Markgraf Karl hielt ihn für den rechten Erzkämmerling seines jüngeren Bruders. Prinz Johann selbst aber hatte seinen offenen, hübschen Kameraden nie recht leiden mögen.
Hatte ihn geknufft, mißhandelt, gedemütigt, mit seinen kleinen Wolfsaugen darauf lauernd, ob der geduldige Begleiter nicht einmal rebellieren und Anlaß geben werde, ihn wegzuschicken. Jetzt, seitdem er Herzog war, selbständig und erwachsener, war die Stellung Chretiens noch viel schwieriger geworden. Er hielt sich sehr bescheiden im Hintergrund; wagte er nur den leisesten Rat an den jungen Herzog, so wurde er bösartig und verächtlich zurückgewiesen.
Chretien war jüngerer Sohn eines edlen französischen Hauses, ohne Vermögen, darauf angewiesen, bei Hof sein Glück zu machen. Es hatte für ihn keinen Zweck, seine besten Jahre in Tirol aussichtslos zu versitzen. In den Feldzügen König Johanns hatte er sich brav und tapfer bewährt. Eine Gelegenheit, sich besonders auszuzeichnen, hatte sich ihm nicht geboten.
Was sollte er bei diesem jungen, bösartigen Herzog, der ihn immerzu demütigte, ihm jedenfalls nicht gewogen war? Er trug sich mit dem Gedanken, an den Hof König Johanns zurückzukehren oder nach Frankreich zu gehen oder besser noch zum König von Kastilien. In den Kämpfen mit den Mauren war Geld und Ehre zu erwarten.
Margarete hatte dem jungen Ritter lange Zeit keine besonderen Gnadenbeweise mehr gegeben. Erst als sie sah, daß kein Weg mehr war von ihr zu Herzog Johann, begann sie wieder, Chretien zu locken. Übertrug ihm kleine, vertrauliche, diplomatische Sendungen, fragte ihn Unverfängliches, das sie aber durch ihre Betonung bedeutsam machte. Er war zurückhaltend, war voll von Zweifeln, wollte nicht verstehen. Es war ein großer Glücksfall, bei der Dame von solchem Rang in Gunst zu stehen; aber es war ein zweigesichtiges Glück: man konnte unmöglich für eine so häßliche Frau in die Schranken reiten. Zwar wird niemand wagen, ihm ins Gesicht zu höhnen wie früher; doch er bäumte hoch, wenn er an die feixenden Mienen, die zotigen Bemerkungen in seinem Rücken dachte. Dann wieder hörte er, wie man an allen Höfen voll großer Achtung von ihrer Umsicht und Gescheitheit sprach. Es schmeichelte ihm, daß eine Dame von solchem Urteil gerade ihn erwählte. Sie imponierte ihm, er war ihr dankbar, entzog sich ihr nicht mehr. Er ging auf ihren Ton ein, seine Augen schleierten sich leise, wenn er sie sah, seine Stimme bedeckte sich, wenn er zu ihr sprach.
Einmal – er war nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt – meldete er sich bei der Herzogin. Sie war nicht in ihren Zimmern, das dürre Fräulein von Rottenburg führte ihn in einen abgelegenen Teil des abendlichen Gartens. Aus einer Baumgruppe her drang Gesang. Das Hoffräulein legte die Finger an die Lippen, bedeutete ihm, stillezustehen, zu schweigen.
Eine warme, volle Stimme sang ein einfaches Lied, jubelte in alle Höhen, schluchzte durch alle Kümmernisse, sehnte sich, dankte, ging durch alle Irrsale. Den jungen Menschen überkam es wie in der Kirche bei einem hohen Fest. Er nahm die Mütze ab. »Die Herzogin?« flüsterte er, ungläubig. Da kam sie schon den Baumgang herunter. Sie sah das große, bewegte Staunen in seinem offenen Gesicht. Reichte ihm langsam die Hand. Er küßte sie.
Unterdes war die Angelegenheit der Hinterlassenschaft der Frau von Flavon so weit gefördert worden, daß man die Entscheidung nicht gut weiter hinauszögern konnte. Juristische wie politische Gründe sprachen dafür, die erledigten Lehen den um die luxemburgische Sache sehr verdienten Bischöfen zurückzugeben. Gleichwohl fanden die Räte allerlei fadenscheinige Gründe, die für die Damen von Flavon sprachen.
Es war nämlich Agnes bei jedem einzelnen gewesen und hatte so lange Trauer, Jugend, List, Hilflosigkeit spielen lassen, bis sie die Räte eingewickelt hatte. Johann entschied also herrisch, daß die Güter den Fräulein verbleiben sollten. Doch Margarete widersetzte sich. Mit so guten Gründen und so beharrlich, daß dagegen nicht aufzukommen war. Man einigte sich schließlich auf einen Vergleich. Schloß und Gericht Velturns sollte den Schwestern verbleiben, die westlichen Besitzungen an Chur, Taufers an Brixen zurückfallen; doch mit dem Beding, daß der Bischof von Brixen nur einen von Schloß Tirol vorgeschlagenen Anwärter damit belehnen dürfte.
Die Schwestern, die schon den weiten Besitz unter sich geteilt hatten, mußten sich also mit dem einen Velturns begnügen. Sie waren lärmend, beweglich, eigenwillig, streitsüchtig. Immerzu herrschte giftiges Geplänkel auf Burg Velturns. Auffallend war, daß die angenehmen Stimmen der jungen Damen im Streit eine unerhört harte, pfauenhaft scharfe Tönung bekamen. In der Öffentlichkeit erschienen die Schwestern übrigens immer traulich vereint, umschlungen, lieblich, blumenhaft lächelnd.
Als Kandidaten für das erledigte Taufers schlug Margarete Chretien de Laferte vor. Der Herzog geiferte empört dagegen. Was? In diesen fetten Besitz soll man den Schlucker setzen, den kahlen Mucker, der sich immer so falsch bescheiden an die Wand drückt und sicher nach einem stechen wird, sowie er nur die Macht dazu hat? Doch Margarete blieb fest. Der Herzog von Kärnten und Graf von Tirol könne sich nicht lumpen lassen. Könne nicht so lange jemandes Dienste annehmen und dann knausern und filzig sein. Wenn Chretien jetzt ohne Lohn und Dank an einen andern Hof gehe, so sei sie selber beschimpft durch solchen schmutzigen Geiz. Als Johann sich weiter sträubte, drohte sie, die Entscheidung des Markgrafen Karl anzurufen, bis er sich knurrend fügte.
Margarete selbst teilte Chretien diese Entscheidung mit. »Der Bischof von Brixen wird Sie mit Schloß und Gericht Taufers belehnen. Bewähren Sie sich, Herr von Taufers! Es ist mein Ruhm, wenn Sie Ehre einlegen, meine Schande, wenn Sie versagen.«
Chretiens mageres, kühnes, gebräuntes Gesicht rötete sich bis unter das eigenwillige Haar. Langsam ging er ins Knie. Er sah nicht mehr, daß ihr Mund sich äffisch vorwulstete, daß ihre Haut grau und lappig war.
»Frau Herzogin!« stammelte er. »Allergnädigste, herzliebste Frau Herzogin!« Und es war mehr als die übliche Formel, wie er ihr dankte: »Pour toi mon âme, pour toi ma vie!«
In der klobigen, altväterlichen Burg des Tiroler Landeshauptmanns Volkmar von Burgstall saßen sieben, acht von den einflußreichsten tirolischen Baronen beim Wein. Es kam selten vor, daß der wuchtige, massige Herr Gäste zu sich bat, und dann in knurriger, barscher Weise, die wie ein Befehl klang. Die Halle, in der man saß, war dumpf und niedrig, die Wände überhaupt nicht, der Boden mit wenigen Tüchern belegt.
Glasfenster, das modische Zeug, verschmähte der konservative Hausherr. Der junge, fröhliche Albert von Andrion, Margaretes natürlicher Bruder, machte sich lustig über die Bretter, mit denen jetzt in der kalten Jahreszeit die Lichtöffnungen vernagelt waren. Man saß wie in einem Keller. Alles war rauchig, rußig vom Kamin, von den Kerzen und Pechfackeln. Dabei war der Raum nicht zu durchwärmen; die Herren rückten unbehaglich hin und her; man briet auf der einen Seite, fror auf der andern. Der nervöse Herr von Schenna hüstelte, schnupperte, bekam Kopfweh in dieser ungemütlichen, dumpfen, stinkenden Höhle, in der kalt und widerwärtig der Geruch der Ställe stand. Aber die Speisen, Wildbret und Fisch, waren mit Liebe und in ungeheuren Massen zubereitet und gereicht, und der Wein, das war nicht zu leugnen, war ausgezeichnet.
Wie die Herren den Landeshauptmann kannten, hatte er sie nicht der bloßen Geselligkeit wegen zu sich gebeten. Aber er war karg und rauh von Wort; es war nicht geraten, ihn zu fragen, bevor er selbst anfing.
Man trank also, redete Gleichgültiges, wartete.
Langsam, in brummigen, unvollendeten Sätzen lenkte Volkmar das Gespräch auf die Politik. Stieß die Herren unwirsch dahin, wo er sie haben wollte. Ja, man war unzufrieden mit den Luxemburgern. Der erste, der es deutlich aussprach, war Heinrich von Rottenburg. Der kleine Herr, breit, rauhes, rotes Gesicht, schwarzer Stoppelbart, erregte sich, schlug mit der Faust auf den Tisch, stieß Drohungen aus. Hatte man nicht, weil er gewisse Abgaben verweigerte, sein Schloß Laimburg zerstört, sein gutes Schloß bei Kaltern, an dem Vater, Großvater, Ahn gebaut hatten? Der junge Herzog hatte es gewollt, der kleine, tückische Wolf. Und der Bischof von Trient hatte den Befehl gegeben, der finstere Böhme, der immer »Autorität!« sagte, »Gehorsam!«. Hätte man ihm Felder gepfändet, Weinberge, ein Dorf, eine Pflege. Aber, nur um ihn zu ärgern, ein Schloß zu zerstören, eine gute Burg aus festem Stein, in eigenem, nicht in Feindesland, das war sinnlos, das war wüstes Heidentum. Auch Frau Margarete hatte es nicht gebilligt, die kleine Herzogin. Das kam, weil sie die angestammte Fürstin war und mit dem Land fühlte. Aber die Fremden, die Böhmen, die Luxemburger, was fühlten denn die? Die wollten Geld herauspressen aus Tirol, nichts weiter, genau wie es der Luxemburger mit Böhmen machte. Und er, Heinrich von Rottenburg, ließ es sich nicht nehmen, daß König Johann damals doch Tirol habe verschachern wollen gegen Brandenburg, möge er abschwören was immer.
Schweigend hörten die andern diese gefährlichen Reden an. Behutsam begann dann der vorsichtige, gepflegte Tägen von Villanders. Rein formal hätten die Luxemburger den Vertrag ja schließlich eingehalten und keine Fremden in die wichtigsten Verwaltungsämter berufen. Es sei doch nicht zu bestreiten, daß Herr von Rottenburg Landeshofmeister sei, Herr von Volkmar Landeshauptmann. Oder? Der gepflegte, bartlose, etwas altmodische Herr sah die beiden so ernsthaft an, daß sie nicht wußten: höhnte er, oder was eigentlich wollte er?
Der kleine Rottenburg brach los: Ob der gestrenge Herr ihn zum Narren habe. Solche Würde habe unter dem guten König Heinrich was bedeutet. Heute habe der dümmste Bauer lange schon geschmeckt, daß es kahle Titel seien und wer in Wahrheit regiere! Es sei ja höllisch schlau, wie die Luxemburger das gedreht hätten; daß sie die weltlichen Ämter arm und leer machten und die geistlichen stark und in die geistlichen ihre Kreaturen hineindrückten. Nein, formal hätten sie dem Land keine fremden Beamten aufgedrängt. Aber wer regiere denn? Der plattnasige Bischof Nikolaus von Trient, der Böhme, der kein Wort Tirolisch versteht.
Herr Konrad Botsch von Bozen erzählte Einzelheiten, wie die Bozener Bürger voll seien von tiefem Verdruß, daß die Luxemburger dem Bischof wieder alle alten, längst abgeschafften Rechte eingeräumt hätten.
Und wie der Bischof die Welschen begünstige vor den Deutschen. Herr Albert von Andrion ahmte den Bischof nach, seinen unbeherrschten, heftigen Gang, der plötzlich wieder durch das Streben nach geistlicher Würde und Gravität gezügelt werde, seine zischende, sprudelnde, slawische Aussprache. Dem jungen, fröhlichen Herrn war die Stimmung hier in der Halle zuwider, auch die Politik war ihm zuwider; er wollte einen unterhaltlicheren Ton in die Gesellschaft bringen.
Mit dem Talg der Kerzen klebte er sich die Nase platt, stieg auf den Tisch, parodierte eine Predigt des Bischofs in seiner slawischen Mundart. Dröhnendes Gelächter.
Aber mit dieser Wendung ins Harmlose war der massige, wuchtige Gastgeber durchaus nicht einverstanden. »Wissen die gestrengen Herren, was der Pfarrer von Matrei Strafe zahlen muß, weil er dem Markgrafen Karl nicht mehr Umsatzsteuer zahlt als dem König Heinrich?« Alle waren gespannt. Ging man die Steuern und Abgaben genau durch, dann hätte man wohl die meisten Tiroler Edeln der Hinterziehung beschuldigen können. »Neunhundertvierundachtzig Veroneser Silbermark!« dröhnte Herr von Burgstall. Man sprang auf, ging durcheinander wütend hin und her.
Ei, wenn die Luxemburger so kamen, da wird bald keiner mehr von den Tiroler Landherren ein Dach überm Kopf haben. Das Land war reich. Das Land nährte den Fürsten so gut wie die Ritter. Da brauchte der Fürst kein Filz zu sein und auf den Pfennig zu schauen. Aber dieser Markgraf Karl war von Natur geizig, das Gegenteil seines Vaters, der reinste Schacherer und Jud. Daß dich Gottes Marter schände! So jung und schon solcher Knauser.
Der ehrliche Berchtold von Gufidaun saß schwitzend, mit hohen, unbehaglichen Brauen. Die starken, blauen Augen schauten mißbilligend auf die aufsässigen, widerspenstigen Barone. Solche Reden waren unziemlich gegen das von Gott eingesetzte Fürstenhaus.
Auch der junge Albert von Andrion wurde bedenklich. Die Luxemburger hatten ihm zwar übel mitgespielt und gerade die reichen Legate des guten Königs Heinrich für seine vielen unehelichen Kinder arg beschnitten. Aber der junge, offene Albert war ein gutmütiger Junge, illoyalen Ideen keineswegs geneigt und voll Verehrung für seine kleine Schwester, die Herzogin. Nun war wirklich Aufrührerisches kaum gesprochen worden, Herr von Burgstall hatte nichts Greifbares gesagt, der kluge Herr von Villanders schon gar nicht; eigentliche Drohungen, die man nicht dulden durfte, hatte nur der kleine Rottenburg ausgestoßen, und der war stark unter Wein. Immerhin schmeckte die ganze Angelegenheit leicht nach Rebellion.
Der feine Schenna merkte die Verstimmung, renkte ein. Worüber man klage, mit alldem habe die Fürstin selbst nichts zu tun. Margarete sei fernab von Knauserei und Schikanen. Sei die rechte Enkelin ihres erhabenen Großvaters Meinhard. Sei klug, sicher, spüre mit dem Land. Das wüßten auch alle, vom letzten Leibeigenen bis zum Landeshauptmann.
Gewichtig stimmte Volkmar zu, befreit und überzeugt Albert und Berchtold von Gufidaun.
Der behutsame Tägen von Villanders streckte wieder die Fühler vor, ja, man habe schon das rechte Gefühl. Das angestammte Fürstenhaus, auf dem Boden des Landes, in seiner Luft gewachsen, sei von Gott bestimmt, in Tirol zu herrschen. Hier schwieg er. Der kleine, heftige, wildumbartete Rottenburg nahm den Faden auf. Die Luxemburger sollten dort regieren, wo Gott oder der Teufel sie hingesetzt. In Luxemburg; wenn es die Böhmen sich gefallen ließen, in Böhmen.
Aber daß sie in Tirol säßen und regierten, das sei durch Menschenwerk so, nicht durch Gottessatzung, und das sei eben Irrtum gewesen. An ihnen, an den Herren selber, habe es gelegen, wen man nach König Heinrichs Tod ins Land gelassen habe. Den Habsburger, den Wittelsbacher, den Luxemburger. Es habe sich sichtbarlich erwiesen, daß in Tirol nur der regieren könne, den die Tiroler selber wollten. Gott habe es durch Berge und Täler und Pässe so gefügt, daß ein Fremder nicht mit Gewalt könne über sie herfallen.
Man sei treu, man halte zu Margarete. Aber dem Luxemburger sei man nicht von Gott, sondern nur durch Vertrag verpflichtet. Herzog Johann und die andern Böhmen hätten den Vertrag schlecht gehalten. Er sei zerrissen, gelte nicht mehr.
Die Herren starrten ihm auf den Mund, schnauften.
Das war klar. Das war Meuterei. Hier war nichts zu deuteln.
Wie man sich das denn denke, fragte tastend Herr von Villanders. Wie man denn Margarete und die gottgewollte Untertanenpflicht trennen wolle von den Luxemburgern.
Schenna, vor sich hin blickend, mit halben, unbestimmten Worten, äußerte: Sehr glücklich sei die Herzogin nicht gerade, soviel er wisse. Einen Erben habe sie und das Land von dem Herzog Johann nicht zu erwarten, soviel ihm bekannt sei. An ihr liege es nicht, sei zu vermuten. Wobei er mit lächelnder Kopfneigung auf den Zeugen der Fruchtbarkeit König Heinrichs wies, der rot, frisch, lachend und geschmeichelt unter ihnen saß, auf Albert von Andrion.
Herr von Villanders faßte zusammen: Man habe nichts gesagt, nichts beschlossen. Man könne sich eine bessere, volkstümlichere Verwaltung des Landes denken als die der landfremden Luxemburger. Man hänge mit unbedingter Treue an der von Gott eingesetzten Herzogin Margarete. Vielleicht sei es opportun, sie um ihre Meinung und ihren Willen zu befragen. Seines Bedünkens sei Herr Albert von Andrion dazu der rechte Mann.
Lärmend stimmte man zu. Nur der redliche Berchtold von Gufidaun schwieg, in Zweifeln hin und her gerissen. Der junge Albert, bedenklich zuerst, aber stark unter Wein und geschmeichelt von dem Zureden der andern, nahm an, verpflichtete sich, seiner Schwester die Meinung der Herren zu unterbreiten, mit ihr Fühlung zu nehmen.
Margarete liebte es jetzt, viel allein zu sein. Oft hatte sie ein stilles, sattes, ihren Frauen unbegreifliches Lächeln. Auf dem schmalen Sockel der kargen Liebeserlebnisse ihrer Wirklichkeit baute ihre Phantasie einen gigantischen Traum. Aus dem kleinen, ungezogenen, hinterhältigen Jungen, der ihr Gemahl in Wirklichkeit war, machte sie einen finster gewalttätigen, großen Tyrannen, der sie nicht verstand und aus der Finsternis seines herrschsüchtigen Gemüts heraus sie quälte. Den jungen Chretien schmückte sie mit allen Tugenden des Leibes und der Seele. Er war Erec und Parzival und Tristan und Lanzelot und der Löwenritter. Alle hellen, strahlenden Taten, die jemals in Geschichte und Gedicht ein Held getan hat, er hat sie getan oder, wenigstens, könnte sie tun.
Es war Glück und Gnade, daß der Himmel streng zu ihr gewesen war und ihr banale Anmut des Gesichts und der Gestalt versagt hatte. Die Frauen rings um sie, die Frauen des Alltags, hatten ihre Männer, ihre Geliebten, vergnügten sich mit ihnen in dumpfer, tierischer Lust in ihren Kammern, hinter Büschen. Ihre Liebe war ganz rein und hoch, das Schmutzige, Erdhafte war ihr von Anfang an verboten und versperrt.
Sie schwebte gelöst, hell und sehr anders über den kleinlichen, ärmlich dumpfigen Lüsteleien und widerlich körperhaftem Getriebe der andern. Süß war es, streng und rein zu sein vor sich und den andern. Süß war es, nicht verstrickt zu sein in tierische, unsaubere Verschlingung von Haut und Fleisch.
Sie wurde krankhaft empfindsam gegen Lautheit, Massigkeit, Körperlichkeit, Schmutz. Es ekelte sie vor fremder Berührung, die Ausdünstung anderer Menschen machte ihr Pein.
März war, von Italien her kam in warmen, linden Stößen Wind, der sehnsüchtig ins Blut ging. Oben lagen die Berge dick in Schnee, aber die unteren Hänge waren voll vom zarten Geflock der Mandel-und Pfirsichblüten. Sie schaute hinaus von der Loggia des Schennaschen Schlosses in das wellige, starkfarbige Land. Über ihr schritten bunt und überschlank Lanzelot und Ginevra, Tristan fuhr übers Meer, Dido stürzte sich in die Flammen. Sie gehörte nun zu diesen.
Die Verse, die ihr so lange hohl, versperrt, ohne Sinn gewesen waren, hatten sich aufgetan, sie hatte trinken dürfen aus ihrer dunkeln, wohligen Fülle.
Willkommen, großes, strenges Schicksal! Willkommen, Häßlichkeit! Willkommen, fürstlicher Reif und Zepter!
Fast dankbar war sie ihrem harten, tyrannischen Gemahl, denn seine Härte hatte sie ihren Geliebten finden lassen. Süßer Freund! Er kannte sie. Er wußte, daß diese graue, lappige, körnige Haut, dieser scheußliche Mund, dieses tote Haar ein Außen war und daß sie innen zart war und schlank und voll Reichtum und Lieblichkeit. Sie sah ihn selten, sprach ihn fast niemals, nie war ein Wort zwischen ihnen gefallen, das nicht jeder hätte hören dürfen.
Dennoch zweifelte sie keinen kleinsten Augenblick, daß er sie liebe. Sie hatte seinen hingegeben dunkeln Blick nicht vergessen damals, als sie gesungen hatte und aus der Vigne zu ihm trat. Und seine Stimme nicht, und wie er verströmt war, als sie ihm von seiner Belehnung mit der Herrschaft Taufers gesprochen hatte. Freilich war dies eine andere Liebe, als die sie so gemeinhin um sich sah mit Küssen und süßlichen Alltagsworten und Firlefanz. Sie, Margarete, hatte ihn durch jene Augen von damals, durch seine Verströmtheit, ganz anders, viel tiefer zu eigen als sonst eine Dame ihren noch so verliebten Galan. Mochten die andern ihre Männer leiblich besitzen. Das war wohlfeil und wie Essen und Trinken gemein. Ihr, der Fürstin, stand eine höhere, strengere Liebe an. Es war wohl auch leicht, so niedrige, wohlfeile Liebe wie der andern immer neu anzufachen, aufzuwärmen durch den Anblick, durch den Genuß tierisch dumpfer Lust. Sie mußte immer wieder gegen ihre Gestalt kämpfen, die Liebe ihres Freundes immer von neuem seinem Widerwillen gegen ihr häßliches Außen abringen.
Selige Bitterkeit solchen Kampfes! Sie dankte Gott und der Jungfrau für so herbe, verschlungene, harte, reine, wahrhaft fürstliche Liebe.
Sie ließ nicht ab, Chretien mit immer mehr Schein und Strahlen zu verklären. Chretien war ohne Ehrgeiz.
Sie war ehrgeizig für ihn. Daß sich seine strahlende Begabung nicht auch den andern offenbarte, war nur, weil sie ihn in Tirol zurückhielt, weil ihm hier die Gelegenheit fehlte. Sie, Margarete, war schuld, daß er vor der Welt unscheinbar und ohne Größe war. Sie war ihm verschuldet, sie schuldete ihm die Gelegenheit zur Größe.
*
Chretien hatte mittlerweile die Herrschaft Taufers übernommen. Er besaß die Dörfer Luttach, Sand, Kematen, das Nevestal, das Reintal. Das alles war unter dem Regiment der Damen von Flavon ein wenig heruntergekommen. Er freute sich darauf, es wieder hochzubringen.
Eine große, unbändige Lust füllte ihn an, nach den langen Jahren bei Hofe sein eigener Herr zu sein. Leer, bunt und widerwärtig lag die Zeit bei Herzog Johann hinter ihm. Die vielen, zwangvollen Zeremonien, das ewige Geknufftwerden, das Nichtsprechendürfen, die tiefen Neigungen und Kniefälle, die frechen Anmerkungen hinterher, das verlogene Gefeilsche bei den Turnieren, das glänzende und dabei so drangvoll bettelhafte Leben, ständig in Angst vor dem Gläubiger. Er reckte das magere, gebräunte Gesicht mit der starken Nase und dem unbekümmerten, langen Haar in die Luft, in seine Luft. Er ritt herum auf seinen Höfen, die Bauern schauten wohlgefällig, voll Verehrung auf den schlanken, sicheren, hurtigen Herrn, die Weiber und Mädchen starrten ihn andächtig an wie in der Kirche.
Am Tiroler Hof hätte er es nicht länger ausgehalten.
Er wäre gern und mit Überzeugung irgendwohin geritten ins Abenteuerliche. Jetzt, so war alles anders, und er fühlte sich sehr wohl. Es genügte seiner Unternehmungslust vollauf, sein Leben heraufzuwirtschaften. Natürlich wird er auch zu Hofe reiten, Kriegszüge mitmachen, bei Turnieren nicht fehlen. Aber etwa nach Afrika zu ziehen und Mauren zu erschlagen oder sich mit Türk und Sarazen um das Heilige Grab herumzuhauen, danke sehr! Dazu verspürte er vorläufig durchaus kein Verlangen. Er ritt männlich und zufrieden auf seinem Boden herum und genoß seine junge Herrschaft.
Eines Tages besuchte ihn die Herzogin. Er war Margarete tief und untertänig zugetan. Er dachte keinen Augenblick daran, seine flüchtigen und sehr wirklichen Beziehungen zu der und jener Frau mit den Gefühlen für sie zu vermengen. Margarete war ihm ein Begriff, in den sich auch Vorstellungen eindrängten, die er von den Sängern und Spielleuten her kannte.
War ihm eine poetische und luftige Angelegenheit, die in der Belehnung mit Taufers eine unerwartete, glückhafte, reale Auswirkung gefunden hatte, die er aber mit seiner übrigen Wirklichkeit nicht in den losesten Zusammenhang brachte. Er ahnte nicht, was er für Margarete war, welche Rolle er in ihrem Leben spielte.
Er empfing die Herzogin freudig und mit ergebener Herzlichkeit. Seine Stimme hatte jene schleierige, vieldeutige Befangenheit, die Margarete erbeben machte.
Was er sagte freilich, war nüchtern und sachlich. Er sprach ihr von den Veränderungen, die er für seine Güter plante, von einer mehr rationellen Bodenbewirtschaftung, strafferen Zucht der Bauern. Sie unterbrach ihn unvermittelt, auf die Gletscher weisend, die einsam, klar und höhnisch fern in ein helles Blau zackten: »Haben Sie nie Lust, Chretien, einen von diesen Gletschern zu betreten?«
Chretien sah sie verblüfft und etwas töricht an. Er sagte, und jetzt klang auch seine Stimme ganz klar und ohne Geheimnis: »Nein. Warum sollte ich da hinaufsteigen?« Dann sprach er wieder davon, wie angenehm und ertragreich die unteren Hänge seien.
Einige Tage später kam Agnes von Flavon. Sie war schon mehrmals bei Chretien auf Schloß Taufers gewesen. Es ergab sich immer wieder eine Kleinigkeit, die noch zu regeln war; auch Chretien fand nicht ohne Geschicklichkeit immer neue Fragen, die Auskunft und persönliche Besprechung erforderten. Agnes war blond, rührend, hilflos und nahm stets von neuem mit verlorenen Blicken Abschied von dem Schloß und den Bergen ringsum.
Unterdes heiratete die ältere Schwester Maria von Flavon einen bayrischen Herrn und überließ den beiden anderen Schwestern Schloß Velturns. Es mußte aber dem Bayern eine ansehnliche Mitgift ausgezahlt werden; die Herrschaft Velturns war an sich schon überlastet; Agnes bat mit großen, treuherzigen Augen Chretien um Rat. Chretien kam nach Velturns, sah die schlampige, elegante Wirtschaft der Schwestern, empfahl Einsparungen da und dort, die sehr praktisch waren, aber die Herrschaft aus einem Fürstensitz zu einem ertragreichen Bauernsitz machen mußten. Agnes beneidete die Schwester. Die habe es gut, sei aus der Misere heraus. Freilich sei der Bayer ein grober, tölpischer Bursch, auch sei es übel, das schöne Tirol mit der faden bayerischen Ebene zu vertauschen. Aber am Ende werde ihr wohl auch nur Ähnliches übrigbleiben.
Sie richtete ernst und lange das zarte und doch kühne Gesicht mit den starken blauen Augen auf Chretien, der schlank, gebräunt, befangen und ein bißchen dumm vor ihr stand.
Das Projekt gegen die Luxemburger war gereift. Volkmar von Burgstall, Tägen von Villanders, Jakob von Schenna hatten sich unmerklich, nachdem sie die Sache gesät, mehr und mehr ins Dunkle gedrückt. Vornean stand jetzt der kleine, heftige Heinrich von Rottenburg und, halb gegen seinen Willen, der muntere, harmlose Albert von Andrion, Margaretes Bruder.
Margarete selbst wob und zettelte mit leidenschaftlicher, fiebriger Beflissenheit die Fäden. Endlich sah sie, endlich, hier die Gelegenheit, Chretien auf den Platz zu stellen, der ihm gebührte, ihm die Möglichkeit großer Taten zu schaffen, die sie ihm schuldete.
Die andern Herren zögerten, Chretien einzuweihen oder gar ihm eine wichtige Stelle anzuvertrauen. Er war kein Einheimischer, er war ein Welscher, Johanns vertrautester Kämmerling. Margarete mußte umständlich darauf hinweisen, wie gemein der hämische, bösartige Johann ihn immer behandelt habe und daß von allen Chretien am meisten unter den giftigen Launen ihres tyrannischen Gemahls habe leiden müssen.
Chretien selber war ziemlich verwundert, als Margarete ihm von dem Projekt sprach. Selbstverständlich war er Ritters genug, sofort mitzutun, wenn es galt, die Dame, die er so tief verehrte und der er so sehr verpflichtet war, aus der Hand ihrer Bedränger zu befreien. Aber sehr begeistert schien er nicht gerade. Er war beschäftigt mit der Arbeit für seine Güter, es wäre ihm lieber gewesen, wäre das Abenteuer ein wenig später gekommen. Er sah, abgesehen von der selbstverständlichen, aber im Augenblick lästigen Erfüllung seiner Ritterpflicht, einen einzigen, etwas mageren Vorteil in der Angelegenheit. Er festigte dadurch seine Stellung unter dem einheimischen Adel; der Herr von Taufers-Laferte konnte fortan, hatte er sich an diesem tirolisch bodenständigen Unternehmen beteiligt, kaum mehr als landfremd angesehen werden.
Margarete brannte in Erwartung, schürte, hetzte, spähte mit ihren klugen, raschen Augen alle Möglichkeiten aus. Wußte es einzurichten, daß neben Albert von Andrion und Heinrich von Rottenburg Chretien als das eigentliche Haupt der Unternehmung galt.
Auf Schloß Velturns war mittlerweile ein gewisser Herr Giulio aus Padua eingekehrt, ein unansehnlicher Mensch, langsam, schweigsam, immer lächelnd, eigentlich ein bißchen idiotisch. Allein sein Oheim hatte das Kapitanat von Padua inne, er selber war am Comersee reich begütert. Er schien Agnes hündisch ergeben, und Chretien überfiel jähe Angst, sie könnte sich entschließen, ihm in die Lombardei zu folgen wie das Jahr zuvor ihre Schwester dem Bayern. Seine Burg Taufers, seine Dörfer und Täler schienen ihm auf einmal wertlos und ohne Licht, wenn er das dachte.
Man konnte mit Agnes nicht wohl reden wie mit anderen Frauen. Man konnte sie nicht einfach nehmen.
Sie war so zart. Sie wäre einem vor Schreck im Arm vergangen. Ganz behutsam sprach er zu ihr. Wenn es ihr in dem überlasteten Velturns nicht mehr gefalle, ob sie nicht wolle mit ihm in Taufers hausen.
Ei, wie konnte sie erstaunt sein! Sie hieß ihre Augen sich schleiern, ihre Lippen befangen lächeln, ihre Hand scheu und lockend abwehren. Antwortete halbe Sätze voll von Sträuben und Versprechen.
Er war ein hübscher Junge, unleugbar, sehr anders als die plumpen Tiroler Herren. Das kühne, magere Gesicht mit der starken Nase, die kurzen, vollen Lippen. Mit seinem unbekümmerten, langen, kastanienfarbenen Haar mußte sich gut spielen lassen. Auch war Taufers ein reicher Besitz. Aber schließlich, ihr Haar, ihre Augen, ihre Haut, ihre kostbare Zartheit und Lieblichkeit war, Gotts Donner und Blitz, zehn solche Herrschaften wert. Wenn sie dachte, wie die Welschen hingerissen auf ihre Blondheit starrten, wie sie blaß wurden bei ihrem Anblick, dann war sie überzeugt, sie hätte können in der Lombardei einen ganz andern Ritter und Herrn finden. Als Gattin eines Visconti in Mailand, eines Scala in Verona zu herrschen, umrauscht von der Bewunderung der glänzenden Städte, wäre Triumph gewesen, viel offenkundiger, als am Tiroler Hof die Gattin des Herrn von Taufers-Laferte zu sein.
Chretien sah, daß sie zögerte, ihn hinhielt. Er spürte, er müsse sich größer machen, wichtiger. Er weihte sie ein in den Plan gegen die Luxemburger.
Agnes hörte zu mit einem merkwürdigen, dummen, sonderbar befriedigten Lächeln. Sie wußte plötzlich, es war ein viel größerer Triumph, die Gattin Chretiens zu sein als die des Mastino della Scala oder des Visconti von Mailand. War es Sieg, der häßlichen Herzogin, der wüstmäuligen, lapphäutigen, den Mann zu entreißen? Ja, ja! Es war Sieg! Plötzlich wußte sie, daß sie seit langem auf diesen Sieg gewartet, diesen Augenblick mit allen Mitteln herbeigekitzelt hatte. Es floß ein Strom von ihr zu der Häßlichen, sie schaukelten auf einem Brett. Jene war häßlich, gewiß; aber auf ihrem häßlichen Haar saß ein Fürstenreif, und aus ihrem häßlichen Gesicht schauten ein Paar höllisch kluge, brennend energische Augen. Sie zu besiegen war viel schwerer als eine andere, Schöne. Der Haß zwischen ihr und jener war ein sehr lebendiges, war das wichtigste Stück Leben, ihres sowohl wie jener. Wie hatte jene gekämpft um den Mann! Hatte sie beraubt und den Raub dem Manne geschenkt, hatte große Ereignisse künstlich gehäuft, den Mann darauf zu stellen und zu erhöhen. Sie, Agnes, die arm war und bloß und nichts besaß als sich selbst, hatte nur gewinkt, und der Mann war sogleich heruntergesprungen von dem riesigen Sockel, den jene so mühsam getürmt, und ihr zu Füßen. Sie kostete ganz diese Erfüllung, schwoll an, schwamm in ihr. Nein, sie wird in Tirol bleiben, wird sich messen mit der Herzogin, die sie haßt, wird ihr mehr noch nehmen als den Mann. Es war herrlich, oben zu schweben auf der Schaukel, selig und schwebend hoch, und die andere ganz tief zu sehen und ganz vernichtet.
Chretien ging in den gefährlichen Handel mit den Luxemburgern wie in ein Turnier. Er war glücklich, Agnes vorher für sich geborgen zu haben. Er dachte nicht einen Augenblick daran, daß durch seine Verbindung mit ihr die Herzogin geschmälert werden könnte. Margarete war hier, Agnes dort, seine Beziehung zu jener, seine Neigung für diese war aus sehr verschiedenem Stoff. Er rüstete die Hochzeit in aller Eile, denn die Ereignisse drängten. Agnes war sehr damit einverstanden; es war kitzelnde Lust für sie, daß Margarete die Befreiung ihrem, ihrem Manne zu danken haben würde.
Zu Ende der Woche wollte Herzog Johann mit dem Markgrafen Karl und dem größern Teil der luxemburgisch-böhmischen Truppen das Land auf mehrere Monate verlassen, um seinem Vater in dem polnischen Krieg Hilfe zu bringen. Agnes fragte Chretien, wann und wie man die Herzogin von ihrer Vermählung unterrichten solle. Chretien hatte geplant, Margarete zur Hochzeit zu bitten. Unter dem unverwandten, tiefblauen, spöttisch unschuldigen Blick des Fräuleins von Flavon wurde er unsicher, verschob die Mitteilung an Margarete, die mit allen Gedanken in ihrer Revolution stecke, erst bis nach vollzogener Vermählung, dann bis zu seiner letzten Unterredung mit der Herzogin. Als er indes die letzten Einzelheiten der Unternehmung mit ihr besprach, schien es ihm richtiger, ihr seine Ehe erst dann zu melden, wenn die luxemburgischen Truppen und Beamten vertrieben und sie die alleinige Herrin ihres Landes sei. Es war übrigens, als er sich von ihr verabschiedete, um sie erst nach geglücktem Staatsstreich wiederzusehen, in seiner Stimme die gleiche vertrauliche, vieldeutige Schleierung, die sie auf den Scheitelpunkten ihrer Neigung so beglückt hatte.
Kurz nachdem Chretien gegangen war, stand Herzog Johann in Rüstung vor Margarete, um nun, auch er, sich zu verabschieden. Markgraf Karl war mit der Masse der luxemburgischen Garde vorausgezogen.
Kühl, verächtlich hörte Margarete auf Johanns grimmige Sätze. Bissig schloß er: »Jetzt wird hier ein gescheites Regiment anfangen, wenn Sie ohne mich regieren. Man sieht ja an Taufers, was dabei herauskommt, wenn man meine Maßnahmen kreuzt.«
»An Taufers?« konnte sie sich nicht enthalten zu fragen.
»Nun ja, jetzt hat sich die Agnes das Schloß eben auf diese Art zurückgeholt. Da hätten wir es ihr gleich lassen können.«
Margarete fragte nicht weiter. Sie wußte plötzlich alles. Sie beherrschte sich, bis der Herzog fort war. Sie fiel nicht um, die Stimme versagte ihr nicht, ihr Blick hielt seinen kleinen, bösartigen, lauersamen Wolfsaugen ruhvoll höhnisch stand.
Allein, brach sie furchtbar aus. Wer jemals war so verraten worden? Geschleiert hatte er die Stimme, beredt gemacht und voll letzter Ergebenheit den Blick, jede Geste voll Einverständnis. Hatte sie in den Glauben geschläfert, er sehe durch ihre wüste Haut in die strenge, harte Schönheit dahinter im Innern. Hatte getan, als verzichte er ihre Resignation mit, als kämpfe er ihre Kämpfe, ihre leidvollen Siege mit, ziehe sich mit ihr zurück aus den bequemen Tälern der Alltagslust auf ihre kalte, einsame, wild strenge Erhöhtheit. Und hatte sie sogleich preisgegeben an die glatte, leere Larve. Wer weiß, vielleicht saßen sie jetzt zusammen, Agnes und er, und lachten sie aus!
Schlau hatte er es angestellt, ei ja! Hatte sich seine Gaukelei, die verzückten Mienen, das ergebene Getue verflucht teuer bezahlen lassen. Mit solchem Preis, mit der Herrschaft Taufers, hätte man sich sämtliche Hofzwerge, Sänger, Gaukler, Spielleute des Römischen Reichs erkaufen können. Und jetzt hatte er es gnädig zugelassen, daß sie ihn dem Projekt gegen die Luxemburger an die Spitze stellte. Hatte wohl erwartet, er werde nun Burggraf werden, Landeshauptmann, der eigentliche Regent von Tirol. Darum wohl auch hatte er ihr bis jetzt nichts mitgeteilt von seiner Verbindung mit Agnes. War der Streich einmal geglückt, dann hatte er die Macht in der Hand. Brauchte ihren Zorn nicht mehr zu fürchten. Konnte im Land schalten, als der Retter von der Fremdherrschaft, auch gegen ihren Willen.
Wie sie sich lustig machen mußten, er und jene, über die dumme, häßliche Herzogin, die Gans, die glaubte, sie könne durch Geschenke, durch Gefühle über ihre Wüstheit hinwegtäuschen! Als wiege dem Mann die strahlendste Seele einen plumpen Mund auf und hängende Backen. Sie raste. Sie wütete gegen sich.
Mit einem Krach stürzte der ganze künstliche Bau ein, in den sie sich geflüchtet hatte. Oh, wie verlogen waren alle diese Phantasien gewesen von ihrer strengen, hohen Sendung, ihr Willkommgruß an die Häßlichkeit!
Lächerlich war sie, lächerlich im Putz ihrer modischen Kleider und weltumströmenden Gefühle, sie, die Gott verworfen hatte durch ihre widerwärtige Gestalt und doppelt verhöhnt durch den Platz, auf den er sie gestellt.
Wie hatte sie herabgeblickt aus ihrer kristallenen Höhe auf Agnes, das kleine, bunte, dumme Insekt.
Und jetzt lag sie im Dreck, wo sie hingehörte, ekles Geziefer, das sie war, und Agnes lächelte aus dem Blau auf sie herunter mit ihren feinen, roten, ach, so zierhaft geschwungenen Lippen.
Haßte sie Agnes? Nein, sie haßte sie nicht. Die war nun, wie sie war. Wer so schön war, hatte gut herunterlächeln – warum sollte sie nicht? – auf die Häßliche.
Aber er, Chretien! Wie er gelogen hatte! Wie er sie angeschaut hatte aus seinem kühnen, gebräunten, offenen Gesicht, hündisch ergebene Andacht in den Augen! Wie sich ihm die Stimme gepreßt hatte aus Bewegtheit und Neigung! Daß einer mit so offenem, treuherzigem Gesicht so lügen konnte! Daß Gott das zuließ! Daß die Erde nicht aufriß unter ihm! Der Hund! Der Betrüger! Der schmutzige Lügner!
Sie häufte, in ungehemmter Raserei, alle Flüche und Schimpfworte, die unflätigsten, die sie kannte, sinnlose, irgendwo aufgeschnappte. Sie tobte durch das Zimmer, bis sie kraftlos auf den Teppich fiel. Da lag sie, die plumpen, geschminkten Hände von sich gestreckt, unfähig, sich zu regen, heiser, das harte, kupferfarbene Haar gelöst in spröden Strähnen.
Als sie sich erhob, war sie sehr verändert. Ging an ihre Geschäfte, eisig starr, rasch, ohne Schwanken, zielklar, mit einer kalten, besessenen Energie. Diktierte, schrieb selber Briefe, fertigte Kuriere ab. Neue Briefe, neue Siegel, neue Kuriere. So ging das durch zwei Tage. Dann versank sie in ebensolche Untätigkeit, wie sie vorher rastlos gewesen war. Niemand wurde vorgelassen. Sie schleifte sich auf und ab durch ihre Zimmer. Schaute stundenlang über das Land hin, die dicken, plumpen Lippen halboffen in einem merkwürdig lüsternen, bösartigen Lächeln. Wartete. Aß nicht.
Sprach nicht. Wartete.
*
Bevor Markgraf Karl und Herzog Johann die böhmische Grenze erreicht hatten, erhielten sie einen Eilbrief des Bischofs Nikolaus von Trient, des der luxemburgischen Sache blind Ergebenen. Er habe von den verschiedensten Gegenden des Landes anonyme Warnungen erhalten. Es gäre im Land. An der Spitze der Aufruhrbewegung stünden Chretien von Taufers, Heinrich von Rottenburg, Albert von Andrion. Er rate den Fürsten dringend, mit ihren Truppen zurückzukehren.
In Eilmärschen kehrten die Luxemburger um. Fingen Albert von Andrion und Chretien von Taufers in einem Hinterhalt. Der Aufstand war mißglückt, ehe er ausgebrochen war. Die revolutionären Feudalherren krochen in ihre Burgen zurück; keiner hatte von einem Protest gegen das luxemburgische Regiment etwas gewußt, geschweige denn von bewaffnetem Widerstand.
Die eigentlichen Anstifter, Burgstall, Villanders, Schenna, waren von Anfang an zu klug gewesen, sich bloßzustellen. Wie Schnee im Sommer verschwanden die Aufständischen vor den luxemburgischen Truppen. Heinrich von Rottenburg entkam; gute Freunde, um sich zu halten, lieferten ihn aus.
Nachdem der Aufstand so rasch und mühelos erstickt war, hielt Markgraf Karl seinen weiteren Aufenthalt in Tirol für überflüssig. Er empfahl seinem Bruder und dem Bischof von Trient, die Mitläufer nicht zu verfolgen, aber die Führer rücksichtslos zu bestrafen.
Legte verstärkte Besatzung nach Schloß Tirol, in die wichtigsten Festungen, zog mit dem Rest der Truppen seinem Vater zu Hilfe nach Polen.
Auf Schloß Sonnenburg bei Innsbruck saß der Bischof Nikolaus von Trient, hörte mit finsterer, beflissener Aufmerksamkeit das Protokoll, das der Sekretär des Herzogs Johann vorlas. Johann selber lehnte am Tisch, schaute mit kleinem, bösem, triumphierendem Lächeln auf den sitzenden, finstern Prälaten.
Ja, nun zeigte es sich, daß er recht gehabt hatte. Der Bischof hatte es für unpolitisch gehalten und, wenn dann doch nichts herauskommen sollte, für geradezu schädlich. Aber er, Johann, hatte darauf bestanden, hatte sich kühn hinweggesetzt über so umständliche Bedenken. Was Bruder der Herzogin! Was Blut vom angestammten Fürstenhaus! Ein Hochverräter war er, ein meineidiger Rebell. Und er hatte über Albert von Andrion die Tortur verhängt.
Der blonde, nette, fröhliche Mensch war ihm von je zuwider gewesen. Ei, er hatte ihn immer angehaßt, mit Margarete gegen ihn gezettelt. Nur hatte man ihm nichts nachweisen können. Jetzt endlich konnte man ihn, Gott sei Dank, überführen, unschädlich machen.
Der Herzog selber war dabei gestanden, als man den Gefangenen peinlich befragte. Den ersten Grad überstand er stumm und trotzig. Man zog ihn, die Füße mit Bleikugeln beschwert, an den nach rückwärts gebundenen Händen hoch, ließ nieder, zog wieder hoch. Seine weiße, rosige Haut lief an, schwitzte. Aber er schwieg. Auch die Daumenschrauben überstand er. Es knirschte, Blut spritzte, er erbrach sich. Aber seine Heimlichkeit nicht mit. Erst als man ihn mit glühenden Zangen zwickte und mit Feuerbränden unter den Achseln kitzelte, bequemte er sich und wurde gesprächig.
Und nun also hatte man das Protokoll. Ein gutes, kostbares Protokoll. Der Bischof zwar meinte, der Rottenburger sei ein sprudelnder Narr, Chretien und Albert dumme Jungen, es müßten bessere Köpfe dahinterstecken, und an die könne man trotz des Protokolls nicht heran. Aber jedenfalls hatte man es jetzt schwarz auf weiß, daß die Revolutionäre Margarete verständigt hatten, daß die Herzogin mit im Komplott war.
Der finstere Bischof fragte ironisch, ob Johann je daran gezweifelt habe. Der erwiderte: nein, aber er freue sich, den Beweis in der Hand zu haben; er werde Margarete das Schriftstück ums Gesicht schlagen. Der Bischof fragte, ob er glaube, daß dadurch dem Haus Luxemburg großer Machtzuwachs erreicht sei.
Bevor er nach Schloß Tirol ging, urteilte Johann die Führer der Verschwörung ab. Albert, verrenkt, siech durch die Folterung, wurde seiner Lehen für verlustig erklärt; nachdem ihn die Mönche von Wilten einigermaßen transportfähig gepflegt hätten, sollte er in ewige Haft nach Böhmen gebracht werden. Den kleinen Heinrich von Rottenburg ließ Johann in Lumpen vor sich bringen, zerrte den Gebundenen, Geknebelten am Bart, schlug ihn auf beide Wangen, eröffnete dem unter seinem Knebel Fauchenden, Augenrollenden, daß nun auch seine beiden anderen Burgen zerstört, verbrannt, dem Erdboden gleichgemacht werden würden.
Der Rottenburger selber wurde in einen Kerker nach Luxemburg geschafft, Chretien nach Schloß Tirol mitgeführt.
Der Herzog fand Margarete durchaus nicht so verzweifelt und zerknirscht, wie er erwartet hatte. Sie hockte in einer Ecke, in einer seltsamen, toten Müdigkeit. Johann hatte ein Gefühl wie vor einer Schlange, die satt gefressen ist und sich nicht regt und keine Hoffnung und keine Furcht mehr kennt in ihrer gelähmten, apathischen Sattheit. Er klirrte auf und ab vor ihr, machte sich knabenhaft wichtig in seiner Rüstung, stieß Drohungen aus, unflätige Beschimpfungen.
Sie solle sich nicht beifallen lassen zu fliehen, alle Gänge seien bewacht, Gräben, Tore, Mauern dreifach besetzt. Sie dürfe ihr Zimmer nicht verlassen, auf Monate; er werde sich sehr überlegen, wem er Zutritt zu ihr gestatte. Aber er kam mit seinen großen, bedrohlichen Worten durchaus nicht auf seine Rechnung. Sie fielen leer, ungeflügelt zu Boden. Margarete hörte mit lässiger, stumpfer Neugier zu, man konnte ihr nicht beikommen, es hätte durchaus keinen Sinn gehabt, sie zu schlagen und anzuspeien, wie er es sich ausgemalt hatte. Er funkelte sie an mit seinen kleinen Wolfsaugen; aber er merkte, daß sein Toben und Wüten ziemlich künstlich blieb und ohne Eindruck. Enttäuscht zog er schließlich ab.
Sie lag lange allein. Wie war sie leer und ausgehöhlt!
Es war trüber, feuchter Tag. Sie fröstelte. Wollte heizen lassen. Schellte. Niemand kam. Sie schleppte sich zur Tür. Zwei Geharnischte traten ihr entgegen, streckten ohne Wort die Lanzen vor.
Abend fahlte herein. Ein Mensch glitt in den Raum, stellte eine große, brennende Kerze auf den Tisch, still, merkwürdig lautlos, ein Verhülltes daneben und eine Buchrolle, glitt ebenso stumm wieder hinaus.
Margarete fröstelte stärker, blinzelte in die flackernde Kerze. Schleifte sich schließlich heran an das Licht, wärmte die klammen Hände an der Kerze. Die Buchrolle waren Kapitel aus der Schrift. Aus dem Verhüllten stieg ein fauliger, süßlicher Geruch auf. Gezogen fast und wider Willen zerrte sie an dem Tuch, es öffnete sich. Fäden, braune Fäden. Nein, das war Menschenhaar. Langes, kastanienbraunes. Eine Stirn darunter. Dies war ein abgeschlagener Kopf. Vergraust warf es sie zurück. Chretiens Kopf starrte sie an aus verglasten Augen. Er lag schräg da, die starke Nase stach spitz aus dem Tuch, Mund und Kinn waren noch verhüllt.
Der Gaumen wurde ihr trocken. Sie atmete wild, in kaltem Schweiß, drückte sich in den Winkel, röchelnd.
Stierte auf den Kopf, den das Licht flackerig, willkürlich und lächerlich verzerrte. Schloß die Augen. Rötlich tanzte vor ihr die Nacht.
Es zwang sie, wieder auf den Kopf zu stieren. Gut wäre es, wenn diese Kerze tot wäre und ihr irrsinniges Geflacker. Man müßte sie auslöschen. Aber sie konnte nicht auf. Hatte sie denn Angst? Nein, sie hat nicht Angst. Sie ist die Herzogin. Wenn man sie belauert, durch ein Loch in der Tür? Sie steht auf; Kopf starr geradeaus, mit seltsam gespreizten Gliedern stelzt sie zu dem Tisch, schlägt die Kerze aus. Sackt hin.
Liegt eine lange Weile steif. Spürt, wohlig fast, die Kälte und nichts sonst. Dann fängt die Nacht wieder an zu tanzen und zu zucken. Der Kopf zuckt in ihr hin und her. Wird endlos lang und schmal. Die mageren, bräunlichen Wangen schillern giftig, bläulichgelb, und jedes dieser schmutzigen, schwärzlichen Flaumhaare sticht nach ihr. Die toten Augen klappen auf und zu in der Nacht. Sie sind ganz ohne Ausdruck, wie von einem toten Tier. Oh, wenn es Tag wäre! Es wäre besser gewesen, die Kerze nicht totzumachen. Jetzt liegt die Nacht so schwer und plump auf ihr wie eine grobe, erstickende Decke. Man liegt in dieser Nacht wie in einem Sarg, und der tote Chretien klappt seine sinnlosen Augen auf und zu.
Er ist häßlich. Das häßlichste Lebendige ist nicht so häßlich wie ein Totes.
Nein, es ist ihm nicht gut bekommen, daß er sie hat betrügen wollen. Die Schöne hat jetzt auch nicht viel von ihm. Mit einem Mann ohne Kopf läßt sich kein Staat machen.
Er hat andere mitgerissen. Armer Albert! Lieber, gutmütiger, freundhafter Bruder! Er war so harmlos und kameradschaftlich. Sicher hat er nur mitgetan, um kein Spaßverderber zu sein. Jetzt ist er kahl und bloß und verrenkt und im Kerker. Der frische, lustige Junge, der er war.
Aber Chretien war doch anders. Das kühne, magere, bräunliche Gesicht. Sie wird keine Furcht mehr haben vor dem toten Kopf. Sie wird ihn lang und genau anschauen, und Chretien wird ihr gehören, nicht der Schönen. Tag sollte es sein, Tag, daß sie ihn sehen kann. Die dummen Gedichte des Herrn von Schenna singen immer von den Herrlichkeiten der Nacht und daß die Nacht der Liebe gehöre und verwünschen den Tag, daß er fernbleiben möge. Unsinn. Ihre Zeit ist der Tag. Herauf, Tag! Schenk mir meinen toten Freund, der mir gehört, Tag!
Doch als der Tag heraufkroch und um den toten Kopf das erste graue Licht war, lag sie überschauert, mit geschlossenen Augen, im Fieber.
Nach zwei Monaten strenger Überwachung erhielt sie Erlaubnis, für einige Tage nach dem Kloster Frauenchiemsee zu reisen, zu ihrer kranken Schwester Adelheid. Sie fand das sieche, krüppelhafte Mädchen scheu und unzugänglich wie immer.
Margarete war vollkommen leer und ausgeschöpft.
Sie aß, trank, ging herum. Beugte in der Klosterkirche das Knie wie die Nonnen, nahm und gab Gruß und Rede und Gegenrede. Sie war jung und alt wie die Welt. Sie war viel älter und erfahrener als die welke, milde Äbtissin, wußte viel besser als diese, daß alles eitel war und Haschen nach Wind.
Der betuliche Abt von Viktring kam zu Besuch. Er war den Luxemburgern nie sehr freund gewesen, König Johann galt ihm als Spötter und Freigeist – darum auch hatte ihn der Herr mit Blindheit geschlagen –, und er freute sich, daß Margarete sich gegen sie erhoben hatte. Er sprach in seiner redseligen Manier viel in sie hinein; doch sie blieb wortkarg. Er häufte Zitate, führte tröstlich Anselmus an: »Schneller vergeht nicht die Stunde, als wechselt der Anblick der Dinge. Diesseits ist und für nichts alle irdische Zierde zu achten.«
Aber es schien auf Margarete nicht viel Eindruck zu machen.
Sie saß mit der Äbtissin lange Stunden am Ufer der winzigen Insel, schaute über den blassen, hellen See.
Das Wasser gluckste träg im Schilf, stille, fahle Sonne war, weit draußen lag ein Fischer in seinem plumpen, altertümlichen Kahn. Die Äbtissin schaute sie aufmerksam an, streichelte ihre dicklichen, jetzt nicht geschminkten Hände. »Junge Herzogin!« sagte sie mit ihrer welken, milden, wissenden Stimme. »Junge Herzogin!«
»Jung?« fragte Margarete zurück, so müde, daß es nicht einmal bitter klang. »Jung? Sie sind zehnmal jünger als ich, hochwürdige Frau.«
Die Äbtissin sagte: »Ein Baum ist nicht tot, auch wenn er im Winter kahl steht.« Ferner sagte sie: »Es gibt nichts Schmerzhafteres, aber auch nichts Wohligeres, als wenn man, erstarrt, wieder ins Leben zurückkehrt.« Auch sagte sie: »Sie sollten mit den Nonnen singen, junge Herzogin.«
*
Als Margarete nach Schloß Tirol zurückkehrte, ließ ihr Ludwig der Bayer von einer prunkvollen kaiserlichen Bedeckung bis an die Grenzen seines Gebiets das Geleite geben. Die ersten Herren des Münchner Hofs führten den glänzenden Zug, die Fahne mit dem wittelsbachischen Löwen wehte ihm voran, Feudalbarone und Behörden standen feierlich an seinem Weg.
Die Herzogin dankte den Herren automatisch, nicht mit der gewohnten pomphaften Sicherheit. Sie war schlaff, gleichgültig, viel zu müde, sich Gedanken zu machen über die Gründe, die den Kaiser zu so auffallender Ehrung veranlaßten.
Ja, der Wittelsbacher hatte seine guten Gründe. Er war erst jetzt wieder peinlich daran erinnert worden, wie sehr die luxemburgische Herrschaft in Tirol ihn behinderte. Seine Absicht, gewisse lombardische Händel durch einen Kriegszug zu beendigen, hatte der Bischof von Trient vereitelt, der ihm kühl und ohne Umschweife den Durchzug durch sein Gebiet verbot. Diese Verärgerung des Kaisers hatten die Tiroler Feudalherren klug genutzt. Die Burgstall, Villanders, Schenna, die sich bei der ersten Revolution gegen die Luxemburger schlau im Hintergrund gehalten, hatten ihre Pläne keineswegs aufgegeben. Das mißglückte Unternehmen hatte sie gelehrt, daß es nötig sei, eine Großmacht als Rückendeckung zu gewinnen. Was lag näher, als sich an den Feind der Luxemburger zu wenden, den Kaiser, den Wittelsbacher? Margarete hatte in dem letzten Unternehmen keine glückliche Hand gezeigt. Es war nicht ganz klar, was der unmittelbare Grund war, über den jener Aufstand strauchelte. Aber so viel war gewiß, daß vornehmlich ihre seltsame Laune, ausgerechnet den Chretien von Taufers zu berufen, die klug gezettelten Fäden verwirrt und zerrissen hatte. Jedenfalls war es geratener, diesmal über ihren Kopf hinweg zu handeln und sie erst im letzten Augenblick beizuziehen. Die Befreiung von Herzog Johann mußte sie, wie immer sie ins Werk gesetzt wurde, so wie die Dinge jetzt lagen, als Erlösung empfinden.
Man schickte also in aller Heimlichkeit Botschaft an den Kaiser. Stellte ihm vor, wie die Erbitterung im Land gegen die Luxemburger steige; wie man bedaure, daß sein italienischer Feldzug an dem steifnackigen Widerstand des Bischofs von Trient, des Böhmen, gescheitert sei. Fragte unverbindlich an, ob er allenfalls einwilligen würde, seinen Sohn, den Markgrafen von Brandenburg, mit der Herzogin von Tirol zur vermählen. Der ländersüchtige Wittelsbacher, ungeheuer gelockt durch die Aussicht, Tirol zu gewinnen, erwiderte ebenso unverbindlich, er werde mit seinem Sohn, dem Markgrafen, den Plan durchsprechen; solange die Luxemburger noch im Land säßen, sei das Ganze ein blaues Projekt.
Den tirolischen Herren genügte solche Antwort vollauf. Sie wußten, es ging nicht an, daß der vorsichtige Wittelsbacher sich mehr exponiere. Seine Antwort war verklausuliert, doch ihr Kern ein deutliches Ja. Die prunkvolle Bedeckung, die er jetzt ihrer Herzogin stellte, wäre Bescheid genug gewesen. Die Zerstörung der Rottenburgischen Festen, die Folterung Alberts, des Sohnes des guten Königs Heinrich, die Hinrichtung des Herrn von Taufers hatten die Luxemburger der letzten Sympathien beraubt. Die Barone schürten weiter, hetzten. Immer ohne Margarete zu verständigen.
Agnes von Flavon stand vereist, als sie von dem Niederbruch der Revolution erfuhr. Sie durchschaute sofort die Zusammenhänge. So schreckbar wuchtig also hatte die Häßliche zurückgeschlagen. Sie stand vergraust, kroch in tierischer Angst für ihr Leben in sich zusammen, dachte an Flucht.
Als sie sah, daß gegen sie nichts unternommen wurde, tauchte sie dann langsam aus ihrem Schrecken hoch, äugte um sich. Sah die strengen Maßnahmen gegen Margarete, verwirrte sich. War jene so ungeschickt, daß sich das Unternehmen zuletzt gegen sie kehrte? Sicher nicht. Dazu war sie viel zu klug. Es mußte mit ihrem Willen so gekommen sein. Agnes begriff die Feindin nicht mehr. Ihr Haß wuchs mit ihrer Angst. Sicher plante sie einen noch ärgeren Schlag, sich an ihrer Vernichtung zu weiden.
Es geschah nichts. Man kümmerte sich nicht um sie.
Es war verständlich, daß man sich von ihr, der Frau des schmählich Hingerichteten, fernhielt. Aber warum beschlagnahmte man ihre Güter nicht? Sie ertrug nicht die Stille und Gleichgültigkeit um sich herum.
Dazu die Angst, dies alles sei nur Vorbereitung tieferer Vernichtung. Sie beschloß, nach Schloß Tirol zu reisen.
Auf dem Stadttor von Meran sah sie auf eine Stange gesteckt den Kopf ihres Mannes Chretien von Taufers.
Er glotzte auf sie her, bläulichgelb; in verfilzten Strähnen wehte sein langes, unbekümmertes, kastanienfarbenes Haar in dem lauen Wind. Sie zuckte zurück.
Dann schaukelte, von den Pferden getragen, ihre Sänfte unter dem Kopf des Gerichteten in die Stadt Meran.
War es eine schlechte Vorbedeutung? Sie hatte keine Zeit für Sentimentalitäten. Sie mußte sich sammeln für die Unterredung mit Herzog Johann. Die war nicht leicht diesmal. Sie war schon einmal in schwarzer Trauerkleidung vor ihm auf der Erde gelegen. Wiederholungen wirken matt. Und diesmal ist die Situation gegen sie.
Johann empfing sie denn auch gereizt, bösartig, höhnisch. Fragte giftig, ob sie auch keine Waffen bei sich habe. Er tue wohl gut daran, sich vorzusehen. Mit großen, traurigen, ob solcher Kränkung vorwurfsvollen Augen sah sie ihn an. Weinte sehr, daß der großmütige, junge Herzog, der ihr huldvoll entgegengekommen, nun Ursach habe zu solchem Mißtrauen. Beteuerte, wie sie von den Plänen ihres hochverräterischen Mannes keine Ahnung gehabt. Sagte, es sei gut, daß er tot sei; denn wer so hinterlistig seinen Fürsten verrate, trage gewiß nicht lange Bedenken, auch sein Weib zu verraten. Gestand mit unschuldiger Verruchtheit, sie habe Chretien nie geliebt; ihn nur geheiratet, um Taufers behalten und in der Nähe des Fürsten bleiben zu können. Johann hörte zu, mißtrauisch und geschmeichelt. Sie trat näher an ihn, daß er ihr Fleisch atmete. Er knurrte, er glaube ihr kein Wort, aber er kämpfe nicht gegen Weiber, vorläufig könne sie Taufers behalten. Dann klatschte er ihr, die sich geduldig und lauernd duckte, verächtlich, derb und lüstern den Nacken, kehrte sich grob ab, warf ihr hin, er werde nächstens nach Taufers kommen, nachschauen, ob man dort Rebellion treibe; aber allein, er habe keine Angst. Damit lachte er laut und eindeutig auf, ließ sie stehen, ging auf die Jagd.
Mittlerweile war die Verschwörung des Adels reif geworden. Schloß Tirol sollte in Abwesenheit Johanns besetzt werden. Man konnte nicht länger umhin, Margarete zu verständigen. Auch mußte man ihre Einwilligung in eine eheliche Verbindung mit dem Wittelsbacher einholen. Herr von Schenna übernahm es.
Er saß vor ihr, dürr, in lässiger, uneleganter Haltung, sprach ihr mit seiner welken, brüchigen Stimme von allerlei Kleinzeug. Glitt mit seinen alten, klugen, skeptischen Augen auf und ab an ihr. Er als einziger ahnte die Zusammenhänge. Behutsam, beiläufig warf er ihr hin, sie möge nicht erschrecken, wenn nächster Tage einmal andere Besatzung das Schloß beziehe, verstärkte Besatzung. Sie möge, auch wenn geschrien, rumort, mit Waffen geklirrt werde, sich nur ja in ihrem Zimmer halten, für sie sei keine Gefahr. Er hielt ein, wartete. Sie reagierte nicht. Nach einer Weile, sacht, holte er aus, ob sie denn nicht frage, warum das alles. Nein, sie fragte nicht.
Er wechselte. Sprach von Agnes. Jeder neue Trauerfall bekomme ihr besser. Jetzt wieder, als sie hier im Schloß war, habe jeder sehen müssen, Schwarz stehe ihr am besten. Margarete horchte auf, der kluge Schenna sah: jetzt war ihre Gleichgültigkeit Maske. Er lenkte ab, kehrte dann wieder zurück. Ja, nun werde Agnes wohl bald auf längere Zeit als Gast hier einziehen; in diesem Stück sei Herzog Johann dem guten König Heinrich ähnlich. Margarete schnellte hoch. Schenna habe sich bisher immer als ihr Freund gezeigt. Ob dies wahr sei? Sie als Gefangene und die andere als Herrin: hier, in den gleichen Wänden, in der gleichen Luft – unausdenkbar sei das. Und er solle jetzt um Christi willen die Wahrheit sagen.
Schenna erwiderte schlicht: Ja, Johann habe Agnes von Flavon eingeladen; und wie er die Dame kenne, werde sie wohl annehmen. Da Margarete die Augen schloß, das Gesicht verzerrte: Es gebe ja noch Mittel, tröstete er, fing an von seinen Plänen. Sie winkte ab, wollte nicht hören.
Bat Herzog Johann dringlich zu sich. Ob das wahr sei? Ob er das wirklich tun wolle? Sie flammte. Das Schloß hier zu einer Hurenherberge machen? Er: Ja, er werde machen. Er werde sich erlauben. Er sah, daß er endlich, auf solche Art, sie treffen, ihre Starrheit durchstoßen, sie anbohren, wund machen konnte. Er beschaute sie mit seinen kleinen, hassenden, gierigen Wolfsaugen, schwoll an. Was sie sich erfreche? Ob sie ihm das Weib verbieten wolle? Sie ihm? Sie, so wie sie ausschaue? Margarete schluckte, sagte beherrscht: Sie bitte ihn nicht, zu bedenken, was man im Volk, was an andern Höfen sagen werde, wenn er hier, im Schloß ihres Vaters, das sie ihm zugebracht, sie im Kerker und die andere in Glanz halten wolle. Aber daran müsse sie ihn erinnern, daß der Mann seiner Mätresse die Revolutionäre geführt habe, daß jene mit im Komplott, vielleicht die Anstifterin gewesen sei, daß es undenkbar sei, jene habe den schmählichen Tod ihres Mannes so schnell vergessen. Er solle sich hüten vor ihr! Er lachte hämisch: Mit solchen Faxen solle sie ihm nicht kommen. Sie sei eine eifersüchtige Gans. Prahlerisch fügte er hinzu: Wie, wenn etwa gar Agnes ihn gewarnt, ihre Intrigen vereitelt hätte?
»Ich habe dich doch gewarnt!« rief sie. »Ich! Ich!«
Ihm, für einen Augenblick, stieg ein unbehagliches Gefühl auf: er sah sie wieder wie damals, als sie vor ihm lag wie eine satte Schlange, er fühlte sich gedemütigt durch seine widerlegte Prahlerei. Aber sogleich war er wieder oben. Dies war ja eine offensichtliche, schlaue, freche Lüge, durch die sie ihn verblüffen wollte.
»In einer so plumpen Schlinge kannst du vielleicht deine Tiroler Bauern fangen, nicht mich!« sagte er mit gespielter, verächtlicher Trockenheit. Und, sich weiter hineinsteigernd: »Also das endlich spürt man? Das geht an die Nieren? Die Schöne soll aus dem Haus?
Das stachelt, daß sie da ist? Just erst recht kommt sie!
Just erst recht bleibt sie! Aus reit ich mit ihr! Auf die Jagd reit ich mit ihr! Nach Meran, Bozen, Trient reit ich mit ihr! Dir zeig ich es, Kröte! Häßliche! Giftige!
Schmutzige!«
Sie hockte starr entschlossen, als er fort war. So schlicht und ehrlich hatte sie gesprochen, ihm noch einmal breit den Weg aufgetan zu ihr. Wer nicht taub und verworfen war, mußte hören. Er selber hatte entschieden.
Andern Tages kam wieder Herr von Schenna. Unterbreitete ihr einen kurzen Brief an den Kaiser, dessen Schutz sie sich empfahl, die Abmachung ihrer Barone billigend. Ohne Zögern unterschrieb sie. Schenna eröffnete ihr ferner knapp, sachlich, andern Tags, wenn Johann auf der Jagd sei, werde das Schloß von den Truppen der Barone besetzt, Johann der Eintritt verweigert werden. Sie selber könne ihm das, begehre er bei seiner Rückkehr Einlaß, mitteilen. Man werde sich hüten, sich ins Unrecht zu setzen, Hand an ihn zu legen. Man werde ihm nur in der Grafschaft jede Herberge versagen. Verlasse daraufhin Johann das Land, schloß Schenna lächelnd, werde niemand ihn hindern.
Im übrigen, fügte er freundlich und sehr ergeben hinzu, sei diesmal vorgesorgt. Selbst wenn der Herzog gewarnt werde, könne nichts mehr mißglücken. Er nahm den unterzeichneten Brief an sich, neigte sich, ging mit seinen unbehilflichen, ungleichmäßigen, schlendernden Schritten.
Am andern Tag, einem Freitag, zog Johann mit kleinem Gefolge auf die Jagd. Das Wetter – es war Anfang November – hatte sich klar und blau angelassen, bald aber war Nebel eingefallen und feuchter, widriger Wind. Der Herzog war verdrießlich; was ihm Margarete über Agnes gesagt hatte, war doch nicht so leicht zu verdauen. Auch hatte sich sein Lieblingsfalke, ein schöner, grauweißer, norwegischer Gerfalke, verscheucht von einem größeren Raubvogel, verflogen.
Jetzt zankte der Herzog mit dem Falkner herum, keifte, schrie.
So brach er frühzeitig die Jagd ab, kehrte gegen Abend nach Hause. Fand die Zugbrücke aufgezogen, das Tor versperrt. Stand verwundert, dann verärgert, fluchend. Stieß ins Horn. Der Turmwächter erschien, sagte, er habe keinen Auftrag, den Herrn einzulassen.
Der Herzog lief rot an, bellte dem Mann unflätige Schimpfworte zu. In der Zinne des einen Torturms war auf einmal Margarete, rief mit ihrer warmen, dunkeln Stimme, der Prinz von Luxemburg möge nicht weiterschreien, hier sei kein Platz für ihn, er möge sich andere Herberge suchen. Vielleicht in Taufers. Johann legte an auf sie. Sie war fort vor seinem Pfeil.
Da stand er nun, schäumend und lächerlich, in seinem Jagdanzug vor dem versperrten Tor. Seine Begleiter tuschelten. Kalter Wind blies, es regnete. Ein paar seiner böhmischen Leute aus der Burg machten sich heran, erzählten kleinlaut, betreten, wie eine riesige Anzahl gutbewaffneter Tiroler das Schloß besetzt, sie hinausgeworfen habe.
Der Herzog hielt noch eine Weile, kotig schimpfend auf die Feigheit seiner Leute, vor der hochgezogenen Zugbrücke. Aus der Burg kam Gelächter, Spottverse: »Wer steht vorm Tor? Wer schlottert im Wind?
Ein Bettler? Ein Jud? Etwer vom Gesind?
Es ist bloß der Graf von Tirol.«
Fluchend zog Johann schließlich ab, nach Zenoberg.
Das gleiche. Nach Greifenstein. Das gleiche. Es ging schon auf Mitternacht. Er war todmüde, heiser vom Schreien und Toben, zerschlagen. Fröstelnd, jämmerlich, nächtigte er im Freien.
Morgen fahlte herauf. Der Herzog stieg auf sein Pferd, schmutzig, überwacht, die Glieder schmerzten ihn, der Magen war ihm hohl von Hunger. Er hatte nur mehr sechs von seinen Leuten um sich, die andern hatten sich sacht verlaufen.
Es regnete unaufhörlich. Seine Begleiter sagten ihm, das Volk sei sehr einverstanden mit dem Geschehenen, lache, juble, feiere, höhne. Jene Verse brummten, lästige Insekten um seine Ohren: »Ein Bettler? Ein Jud?
Etwer vom Gesind? Es ist bloß der Graf von Tirol.«
Auf Nebenpfaden schlich er sich in die Burgen etlicher Adeliger, die er sich besonders verpflichtet hatte. Die Herren waren nicht da, die Kastellane hatten keine Weisung, verschlossene Tore. Es waren nur mehr vier von seinen Leuten bei ihm.
Er irrte ziellos durch Weinberge, Forst. Regen, Regen. Er glaubte sich verfolgt, umstellt. Er kannte keine Furcht in der Schlacht; jetzt kroch es ihm ekel herauf.
Er wollte nicht gehetzt und geschlagen sein wie ein toller Hund von einem Bauern, einem stinkenden Bürger.
Er schlug sich höher in die Berge. Kam endlich zu einer abgelegenen Burg des Tägen von Villanders. Der kluge, vorsichtige Baron, er wollte sich, wenn möglich, auch mit den Luxemburgern verhalten, nahm ihn auf.
Allein er wagte nur, ihm sehr heimliche, auf ganz kurze Zeit befristete Unterkunft zu geben. Johann lebte die wenigen Tage als ein unbekannter Ritter Ekkehard, ließ sich nicht sehen. Da klatschten ihm auch hier Fetzen jenes Liedes um die Ohren: »Etwer vom Gesind?
Es ist bloß der Graf von Tirol.« Er machte sich fort, des Nachts, schlotterig, nur mehr zwei Knechte folgten ihm. Er war noch immer im Jagdkleid. Schmutzig, verschwitzt, stinkend, auf abgetriebenem, versagendem Roß, das auf den versumpften Nebenpfaden nicht mehr weiterkam, schlich er sich die Kreuz und die Quer durch sein Land. Wenn nur wenigstens dieser verfluchte Regen aufhörte! Er verkaufte den Schmuck, den er bei sich trug, Waffen, Jagdhorn, zuletzt auch das Pferd.
Fiebernd, erschöpft, ganz allein erreichte er das Gebiet des Patriarchen von Aquileja. Kam nach Friaul. In den Palast des Patriarchen. Die Knechte grölten, wieherten, als der lausige, verlumpte Mensch behauptete, er sei der Herzog von Kärnten, Graf von Tirol, Enkel der Römischen Majestät. Der Patriarch, Feind der tirolischen Feudalherren, von Luxemburg allezeit sehr gefördert, nahm ihn ehrerbietig auf, schloß ihn in seine Arme. Langsam kam, nach Tagen, der erschöpfte, verstörte Fürst wieder zu sich. Knirschte, wob bösartige Pläne, sott Gift, spie Flüche und Drohungen in das Land, aus dem ihn seine Frau vertrieben.